6. Geister

Marie Töpfer

by Marie Töpfer

Story

Was ist es, das uns Angst macht. Ist es der Gedanke daran, dass man uns ablehnen könnte für das, was wir sind und was wir mitbringen? Ist es das, was uns nachts wach hält, uns die Luft nimmt, uns übel werden lässt, wenn wir nur daran denken?

Ich hatte nie Angst empfunden. Nicht die Form von Angst, die mich hatte erstarren lassen. Die Form von Angst, die mir meine Worte genommen hatte, wenn ich vor einer größeren Gruppe an Leuten sprach, nicht die, die mich abhielt, vor mir selbst zu stehen. Was ich vor meinen Eltern empfand, war Ehrfurcht. Zu wissen, sie waren so arm gewesen und hatten sich trotzdem dieses Leben aufgebaut, was wir heute hatten, erblickte ich von klein auf mit großer Bewunderung. Die Form von Angst, die ich jedoch mit Selma kennenlernen würde, war mir in diesem Ausmaße nicht bekannt. Es war die Angst, einen Schritt in die falsche Richtung zu gehen und das zu verlieren, was ich immer gesucht hatte. Es war nicht nur der Gedanke an den Verlust der mir in der Zeit die mir immer und immer wieder den Kopf schwirren hatte lassen bis er dröhnte, sondern die Vorstellung davon wie es wäre, wenn sie am Ende des Tages ohne mich glücklicher sein könnte.

Es ist interessant, wie in uns ein Gedanke wie ein Spross erwachen kann und innerhalb nur weniger Sekunden zu einem Monsun der Misere und des Missmuts anwächst. Was vor wenigen Sekunden noch gestrahlt hatte, zerfließt nun und wird zu kaltem flüssigem Beton, der einem in die Magengrube tropft. Meine Gedanken waren in diesen Wochen nicht bei Sinnen und trotzdem wollte sie mich nicht verlassen. Wenn man das Dunkle nur von außen betrachtet, so kann es einen anscheinend kaum treffen. Man sieht die Person ihre eigenen Schatten tragen, doch greifen sie nicht nach einem. Normalerweise. Doch dann gab es mich. Meine Schatten. Die Momente, in denen ich nicht weiter wusste. Momente, in denen ich so einsam wurde, da sie mich verstand, doch nichts verändern konnte. Die Momente, in denen ich ihr meine Gedanken mitgab.

Worte, die sich wie heißes Eisen in unsere Beziehung rammten. Ich wurde zum Schädling und ich wusste nicht wieso. Ich wusste nicht wie ich herauskommen sollte. Alles was ich wusste war, dass ich über Monate ein Geist gewesen war, versteckt, verliebt, zurückgezogen. Mich sichtbar zu machen schien undenkbar, darum wurde mir klar, dass ich wählen müsste zwischen unsichtbar bleiben oder zu einem Wesen, das allem widerspricht, was ich für sie sein wollte. Ich wollte es nicht, doch ich musste es, um die Chance zu bekommen, eine neue Form anzunehmen. Eine Form, die nicht der eines Geistes entsprechen würde. Eine Form die sich im Spiegel wieder erkennen könnte. Jemanden zu lieben reicht niemals aus, um nicht davon ausgelaugt zu werden, doch es reicht, um nicht auf halbem Weg aufzugeben. Ich wollte der sein, der sie festhielt in Zeiten, in denen sie es selbst nicht konnte. Ich wollte nicht der sein, der es hatte gehen lassen, in dem Moment in dem es untragbar für mich wurde. Ich würde bleiben, bis es besser werden würde.


© Marie Töpfer 2022-12-30

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