Sie setzten sich an ein grob gezimmertes Tischchen, abseits vom Trubel des Lagers.
Ryan ließ seinen Blick über das Dorf schweifen.
„Warum tust du das?“ fragte er schließlich rau. „Warum stiehlst du Vorräte? Warum riskierst du deinen Kopf für Fremde?“
Mary hielt seinem Blick stand.
„Weil ich es leid bin, zwischen goldenen Mauern zu sitzen, während draußen Menschen hungern.“
Eine kurze Stille.
Er schnaubte leise. Vielleicht spöttisch — vielleicht auch beeindruckt.
„Schöne Worte. Aber Worte füllen keine Mägen.“
Marys Stimme wurde leiser. Fast verletzlich.
„Ich habe nicht gewusst, dass es so schlimm ist… Hier draußen.“
Ryan lehnte sich zurück. Die grün leuchtenden Augen musterten sie lange.
„Nein. Das weiß niemand im Palast. Weil es keiner wissen will.“
Sie sprachen lange. Über das Leben hier draußen. Über seine Kindheit — karg, aber frei. Über die Drachen — die er nicht beherrschte, sondern mit ihnen lebte. Mary merkte, wie ihre eigene Welt immer kleiner wurde — und gleichzeitig größer.
„Und du?“ fragte sie leise. „Warum hasst du Avalis so sehr?“
Seine Kiefer mahlten kurz.
„Weil ich genug Menschen habe sterben sehen, die nicht sterben mussten.“
Die Worte hingen schwer in der Luft. Mary wusste: Dies war kein Märchen. Keine Schlossgeschichte. Dies war echt.
Doch während Mary und Ryan sprachen — wuchs die Gefahr im Verborgenen.
Weit entfernt, in Avalis, hatte der König längst einen Suchtrupp ausgesandt. Er wollte seine Tochter zurück. Um jeden Preis.
Und während sich über dem Dorf die Schatten verdichteten, ahnte Mary nicht, dass ihr Abenteuer gerade erst begonnen hatte.
© Marion Brunner 2025-04-25