7. Der Lauf der Zeit

Fiona Feinermann

by Fiona Feinermann

Story
Dorf

Und so warte ich ein Jahr auf das Wiedersehen mit dem kleinen Jungen. Es kommt mir ewig vor. Denn obwohl ich schon soo lange lebe, scheint dieser Moment des Wartens länger zu sein, als all diese Jahre vor. Ich hatte ja zuvor nie auf etwas gewartet und hatte nur Tag für Tag mein grässliches Leben gelebt. Aber jetzt würde sicher alles anders werden. Ich bleibe das ganze Jahr nur als Dunkelheit im Himmel, weil ich weiß, dass ich, sobald ich auf der Erde war, versuchen würde, ihn schon eher zu sehen. Denn ich kann es kaum noch abwarten.Als das verdammte Jahr endlich vorbei ist, kehre ich auf die Erde zurück. Es fühlt sich so gut an, endlich wieder den Boden unter meinen nackten Füßen zu spüren. Und auch wenn es nervig war, war es ein tolles Gefühl, meine Haare wieder zu verknoten.Ich laufe zur Kirche und dort warten bereits Elodie und ihr Bruder Lewi. Lewi sieht mich und rennt gleich zu mir. Erstaunt sieht ihm Elodie hinterher. Sie hateinen leicht sehnsüchtigen Blick.Seit diesem Tag an hole ich Lewi immer vor der Schule ab und wir schlendern durch die Gegend. Elodie sorgt dafür, dass uns der Vater nicht den Nachmittag zerstört. Je größer Lewi wurde, desto mehr erzählt er mir. Ich höre immer nur zu,nicke und lächele, denn ich habe Angst davor, meine Stimme zu benutzen, weil ich mir nicht mal sicher wahr, ob ich überhaupt eine hatte. Ich hatte ja immerhin noch nie mit jemandem gesprochen. Und so redet er und ich höre ihm zu.Die Jahre vergingen und er wurde immer älter, doch er sah mich immer und verlor seinen Glauben an mich nicht. Ich war glücklich. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich ein Kind kennengelernt, dass sich die Fantasie nicht nehmen ließ. An jedem einzelnen Tag, Jahr für Jahr trafen wir uns und verbrachten so unseren Nachmittag. Manchmal kam sogar Elodie mit, aber sie konnte mich nicht sehen. Sie hatte ihren Glauben einfach zu früh verloren.Als Lewi bereits dreißig ist, stellt er mir seine Familie vor. Seine Frau kann mich zwar nicht sehen, aber sie macht sich nicht über ihn lustig so, wie die Kinder, die früher in seiner Klasse waren, es immer getan hatten. Seine zwei wundervollen und unglaublich niedlichen Kinder, die er ab und zu mitbringt, konnten mich ebenfalls sehen. Sie waren so wundervoll und ich hoffe, dass das für immer so bleiben würde. Ich besuche ihn und seine Familie nun fast jeden Tag und genieße ein Stück Normalität. Sie treffen sich gern mit mir, reden und lachen und ich sehe ihn beglückt dabei zu. Hoffentlich bleibt das für immer so, denke ich. Doch die Zeit hatte etwas anderes vor…

© Fiona Feinermann 2023-05-08

Genres
Science Fiction & Fantasy
Moods
Dunkel
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