7. Still

Eine Stille tritt zwischen mir und meinen Therapeuten. Er schaut auf sein Klemmbrett und überlegt. Mein Kopf fühlt sich an wie Watte und alles dreht sich. Ich fühle genau gar nichts.

Er schaut vom Klemmbrett hoch: „Sie sind nicht nur ein Opfer.” Er erzählt weiter: „Sie sind auch Überlebende.“ Ich zucke zurück. Die Situation lief schon einige Male vor meinem geistigen Auge ab. Aber die Bedeutung der Waffe wird mir nun erst klar. Ich hätte sterben können. Ich hätte es drauf ankommen lassen können. Hätte er mich wirklich erschossen?

Ich schaue meinen Therapeuten an: „Ich hätte es riskieren sollen, oder? Im Nachhinein glaube ich, der Tod wäre besser gewesen.“ Tatsächlich fühle ich plötzlich eine Freiheit in meiner Brust. Wenn die Kugel mich getroffen hätte, dann wäre ich frei gewesen!

Keine Albträume mehr. Kein Misstrauen mehr. Kein sich zusammenreißen müssen. Kein stark sein müssen. Kein Verstecken mehr. Es wäre ganz einfach gewesen. Er hätte nur abdrücken müssen.

Mein Therapeut runzelt die Stirn: „Wer sagt denn, dass er Sie erschossen hätte?“ Er schluckt. Ich starre ihn an. Er braucht nicht weiter zu reden. Ich weiß, was er sagen will! Was ist, wenn er mich nur angeschossen hätte, damit ich stillhalten muss! Was ist, wenn er mich danach erschossen hätte!

Ich starre meinen Therapeuten an. Nun erst wird es mir wirklich klar: Ich bin nicht nur das Opfer! Ich bin Überlebende! Ich habe überlebt! Ich hätte sterben können!

Ein Stammeln, mehr bringe ich gerade nicht über die Lippen. Mein Therapeut schaut mich an: „Sie dürfen eines nie vergessen, versprechen Sie mir das?“ Ich nicke. Er beugt sich zu mir und schaut mich eindringlich ein: „Sie hätten es drauf ankommen lassen können. Haben Sie aber nicht! Sie fragen sich bestimmt wieso. Die Antwort ist leicht: Weil Sie leben wollen! Vergessen Sie das niemals!“

Ich werde das nie vergessen! Aber unter welcher Bedingung lebe ich nun? Darüber konnte ich mir in dem Moment keine Gedanken machen.

Ich danke dir Tobias. Dank dir weiß ich, was leben heißt!