Nachdem sie Walter Zirngibl damit beauftragt hatten das Smartphone des toten Kofler zu knacken und auszulesen, setzten sich Jens Petersen und Monika Thurner in den Galaxy des Kriminalhauptkommissars und fuhren ĂŒber PĂŒrten und die InnbrĂŒcke in den alten Markt Kraiburg hinein. Dort, auf einem groĂen GrundstĂŒck nahe des Inns, hatte der ehemalige KFW-GeschĂ€ftsfĂŒhrer vor gut fĂŒnf Jahren seinen Altersruhesitz errichtet, eine Villa, dem Bauhausstil nachempfunden mit riesigen GlasflĂ€chen und Terrassen bzw. Balkonen.
Die EndfĂŒnfzigerin, die ihnen gleich nach dem ersten klingeln die EingangstĂŒr öffnete, passte irgendwie nicht so recht zu diesem Haus. Eher bieder gekleidet, ungeschminkt und mit zerzausten Haaren, entschuldigte sie sich aber fĂŒr ihr Aussehen damit, dass sie den ganzen Tag schon konfus herumirre, weil doch ihr Mann nicht nach Hause gekommen sei und sie ihn auch telefonisch einfach nicht erreichen könne. Die Polizei, bei der sie am Vormittag angerufen habe, hĂ€tte sich auch noch nicht wieder gemeldet. Margot Kofler reagierte auf die Todesnachricht so, wie man es vielleicht als ânormalâ bezeichnen wĂŒrde, wenn der Begriff ânormalâ hier auch ein wenig deplatziert erscheint. Nach einer kurzen Schockstarre brach sie in TrĂ€nen aus, setzte sich auf den nĂ€chstbesten Stuhl, stĂŒtzte Kopf und Gesicht in beide HĂ€nde und weinte, wobei ihr ganzer Körper immer wieder erbebte. WĂ€hrend Monika Thurner tröstend ihren Arm um die Schultern der trauernden Witwe legte, âscharrteâ Petersen förmlich âmit den Hufenâ, wollte er doch schnellstmöglich die weiteren Ermittlungen aufnehmen. âDarf ich mich ein wenig umsehen, Frau Kofler? Wo hat ihr Mann denn die meiste Zeit verbracht, wenn er zu Hause war?â. âGehnâs nur hinauf in den zweiten Stockâ, antwortete die Frau gequĂ€lt und mit der Hand vor dem Mund, âda oben ist sein Reich und die Freundin, mit der er mehr Zeit verbringt als mit mirâ.
âSo etwas habâ ich noch nicht gesehenâ, berichtete Petersen, als sie nach ĂŒber einer Stunde Frau Kofler einer herbeigerufenen guten Freundin ĂŒberlassen und sich mit den ĂŒblichen Beileidsfloskeln verabschiedet hatten. âDa gibt es einen Hobbyraum, so groĂ, dass er mehr als die HĂ€lfte des ganzen Obergeschosses einnimmt. Die gesamte FlĂ€che ist ĂŒberbaut mit einer riesigen Modelleisenbahn, geradezu einem Abbild der HalbNullWelt, in der Kofler heute Nacht gestorben ist. Das Ganze muss auch einen enormen materiellen Wert darstellen, denn auĂer den Lokomotiven, Waggons und sonstigen Fahrzeugen, ihre Zahl dĂŒrfte an die tausend gehen, ist dort modernste digitale Technik verbautâ.
âDas deckt sich mit dem, was ich aus der Witwe auf die Schnelle herausbringen konnteâ, schloss sich Monika Thurner diesen Beobachtungen an. âSie beklagte sich, dass ihr Mann nichts anderes mehr im Kopf hatte als seine Eisenbahn. Das war ĂŒbrigens auch der Grund, warum er gestern am spĂ€ten Abend noch das Haus verlassen hat.
© Hermann Karosser 2022-04-23