8 Ein Parkbesuch

Karin Lang

by Karin Lang

Story

Er schaut auf die Uhr. Die Vorlesung hat er schon längst verpasst. Miron würde erst am Nachmittag nach Hause kommen, also hat er noch eine Menge Zeit zu überbrücken. Er sucht eine Bäckerei auf und kauft sich ein Brötchen, merkt aber beim Bezahlen, dass er gar keinen Appetit hat. Er läuft ein wenig durch die Stadt, bis er sich auf einer Parkbank hinsetzt, geistesabwesend in sein Brötchen beißt, und dann anfängt, die Körner von der Brötchenkruste zu knibbeln, um sie an die Tauben zu verfüttern. Tauben mag Christian besonders gern. Er mag ihr sanftes Wesen, ihr Gurren und wahrscheinlich mag er sie schon einfach deswegen, weil sie sonst keiner mag.

Ordnungsgemäß marschiert nach fünf Minuten ein altes Ehepaar auf ihn zu. „Junger Mann! Tauben füttern ist verboten!“

Christian nickt müde. Er hat keine Lust auf Konfrontation.

„Ich weiß. Ich höre schon auf.“

Der Park, in dem Christian sitzt, ist klein, bietet aber ein idyllisches Bild, das ihn schon wieder zum Tagträumen verleitet.

Wenn ich malen könnte, denkt er, dann würde ich dieses Bild jetzt malen. Ich würde den kleinen See malen, und wie sich die Bäume darin spiegeln. Wie sie sich spiegeln, aber ihr Spiegelbild verzerrt wird durch den Wind, der die Wasseroberfläche bewegt, und sie in der Sonne glitzern lässt. Ich würde die kleine Brücke dort malen und die Weide, die ihre Äste über die Brücke und das Wasser hängen lässt. Die vielen Vögel, die Enten, Gänse und Tauben, die würde ich auch malen. Bloß die Menschen, die hier spazieren gehen, würde ich weglassen. Wenn ich doch nur malen könnte wie Monet oder Van Gogh. Dann könnte ich all das malen, und ich könnte auch das malen, was nicht offensichtlich ist, den Zauber der Dinge, den ich weniger sehe, als das ich ihn fühle. Ich würde versuchen, ihn mit Farben auszudrücken, die leuchtender und weicher sind als jede Realität. Farben, die einem das Herz öffnen.

Oder wenn ich statt des Malens bloß Gedichte schreiben könnte. Schreiben, wie Rilke oder Heine es konnten, dann würde ich ein Gedicht schreiben, über diesen Park und das Sonnenlicht und über die Weidenäste, die im Wind wehen und ich würde darin meine Gefühle zum Ausdruck bringen. Aber ich kann weder malen noch Gedichte schreiben, und so wird dieser Moment, dieser Anblick für immer in mir verschlossen bleiben, für immer nur meine Wahrnehmung sein, die ich mit niemandem teilen kann, weil niemand diesen Moment genau so wahrnimmt wie ich jetzt gerade. Wie schade das ist, und wie traurig es mich macht.

© Karin Lang 2022-08-11