Es klingelte. Wieder und wieder und wieder. Meine Mutter öffnete die Tür, während ich versuchte mich weiter auf meine Lernsachen zu konzentrieren. Jemand schluchzte. Was war passiert? Mein Patenonkel war doch nicht etwa…? Ich stand auf, ging in den Flur und lehnte mich leicht ins Treppenhaus. Das Schluchzen wurde lauter. “Ich habe gerade einen Anruf bekommen, dass Heinz ins Krankenhaus gekommen ist. Verdacht auf Schlaganfall. Könntest du mich zum Krankenhaus fahren?”, die Frage wurde immer wieder von Schniefen unterbrochen. “Aber natürlich.”, antwortete meine Mutter “Mia, ich bin Mal eben weg.”, rief sie daraufhin nach oben. Sollte ich heruntergehen? Etwas sagen? Mein Körper wollte nur weg, weg aus dieser Situation, weg von den Tränen meiner Patentante. “Okay.”, antwortete ich meiner Mutter. Die Haustür fiel ins Schloss, ich war alleine. Das Haus war still und lag dunkel im Abendlicht dar. Meine Hände fuhren über meinen Körper, mein Herz begann schneller zu schlagen, ein Kribbeln fuhr durch meinen Körper, als würden Tausende von Ameisen durch meine Adern krabbeln. Die Wände schienen auf mich zuzukommen. Ich musste hier raus. Im Gehen schnappte ich mir meine Winterjacke, zog ein paar Sneaker an und trat vor die Tür. Unsere Spielstraße lag still vor mir. Hier und da leuchtete ein Fenster, in der Ferne hörte ich die Hauptstraße. Kalte Abendluft schlug mir ins Gesicht und brachte mich zurück in die Wirklichkeit. Was machte ich hier? Ich musste lernen. Reiß dich zusammen Mia. Ich ging wieder ins Haus, setzte mich an meinen Schreibtisch und versuchte den Aufbau einer Qualle zu verinnerlichen.
In einem kleinen Knubbel standen wir vor der Tür des Labors. Noch zehn Minuten, dann würde die Tür geöffnet werden und der wöchentliche Test würde beginnen. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Handfläche. Um mich herum wurde sich gegenseitig abgefragt, Verständnisfragen gestellt und sich generell verrückt gemacht. Ich schaute alle paar Sekunden auf mein Smartphone. “Ich fahre später ins Krankenhaus, willst du mit kommen?” die Nachricht meiner Mutter starrte mich an. Ich packte mein Handy wieder weg. Es wäre das Richtige, ihn zu besuchen. Er würde sich freuen. Doch mein Körper versteifte sich allein schon bei dem Gedanken daran. Erinnerungen an meinen Patenonkel, zusammengekauert in einem viel zu großen Krankenhausbett, der Geruch von Desinfektionsmittel in der Luft flimmerten vor meine Augen. Ich hasste Krankenhäuser. Nichts Gutes passierte dort. “Geht nicht, ich muss lernen.”, schrieb ich meiner Mutter kurzerhand zurück. Meine Schuldgefühle würden durch eine allumfassende Erleichterung übertrumpft. Die Labortür öffnete sich und wir traten ein. Als ich den Test entgegennahm, bemerkte ich kleine halbmondförmige rote Stellen an meinen Handflächen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sich meine Fingernägel so stark in meine Haut gebohrt hatten.
© Alina Steffen 2021-04-28