Abgeschnitten

Beederl

by Beederl

Story
Waldviertel

Das Leben schneidet dir Stück für Stück einen Teil deines Weges ab – ohne dass du es merkst. Erst sehr viel später, als du dich besinnst, dass du etwas schon lange nicht gemacht oder gesehen hast, fällt es dir auf: Du wirst es nie wieder machen oder sehen!

Zu diesem Gedankengang hat mich jetzt ein Traum animiert. Ich habe ein altes, kleines Haus in der Nachbarschaft meines Elternhauses gekauft, sehe mich mit den Nachbarn tratschen und auf mein Elternhaus hinüberzeigen. Alles ganz deutlich, ganz wirklich, mit allem was dazu gehört. Unmittelbar aufgewacht sinniere ich über diese Szene nach und der Gedanke spinnt sich weiter. Ich stehe am Friedhof meiner Oma, und zuhause bei uns, wo sie nach dem Tod von meinem Opa viele Jahre gelebt hat, in einem schönen großen Zimmer und einem winzigen Waschraum in der Dachschräge. Ich hatte als Kind dort auch mein Zimmer daneben, bin dort hoch oben am offenen Fenster gesessen, habe die Menschen bei der gegenüberliegenden Tankstelle beobachtet oder gewartet, dass ein Freund vorm Zaun steht und mit mir tratscht.

Ich sehe mich vom Friedhof hinunter wandern ins Tal zum Fluss, auf dem verwurzelten Weg weiter gehen, über kleine Felsensteine direkt am Wasser entlang, bis zur duftenden Wiese. Auf der anderen Uferseite tun sich die mächtigen Felsen auf, was besonders beeindruckend war. Im Laufe meines Lebens bin ich dort mit den verschiedensten Menschen gewandert, am Sonntag mit meinen Eltern, meiner Oma und meinen Kindern, mit meiner Freundin, mit meinem Freund, später alleine. Jetzt geht meine Tochter mit ihren Kindern dort – ich leider nicht mehr. Und heute, wo die Sonne wieder scheint, fehlt mir plötzlich dieser Duft, diese Lieblichkeit in der Atmosphäre, dieses Heimatgefühl.

Und ich werde es nie wieder erleben, weil ich nicht mehr so weit gehen kann. Du weißt nicht, wann es das letzte Mal ist, wann du dort gehst – du würdest es bewusster machen und wahrscheinlich mit sehr viel Wehmut. So geht es mir mit vielen Dingen, die ich nicht mehr machen kann. Einen besonderen Stellenwert nimmt da auch das Tanzen ein. Ja, ich habe es viel gemacht, in verschiedenen Versionen, nächtelang, jahrelang, und stets genossen. Nach meiner schweren Schilddrüsen-Operation 2015 habe ich das von einem Tag auf den anderen aufgegeben, ahnend, dass es nicht wiederkommen wird. Aber dass mir so vieles abgeschnitten wird, wird mir besonders heute schmerzlich bewusst. Ich bin so gerne gewandert, habe so gerne getanzt, habe so gerne meinen Garten bestellt und gepflegt, habe gekocht und gebacken, habe gebastelt und das Haus dekoriert, war quirlig und beweglich. All das ist vorbei, ist Vergangenheit, ist wieder ein Scheibchen, vom Schicksal, vom Altwerden weggeschnitten. Es ist alles mühsam, vom einfachen duschen bis zum Autofahren. Einkaufen gehe ich schon lange nicht mehr, das ist mir stets auf die Nerven gegangen.

Ja, ich kann mich gut fügen in das Leben, das ich jetzt führe, kann die Kleinheit meiner Welt dankbar annehmen, bin Gott sei Dank nicht depressiv. Dennoch ist es immer wieder mal schmerzlich, zu erkennen, dass ich solche besonderen Momente nicht mehr erleben werde.

© Beederl 2025-07-13

Genres
Biographies
Moods
Emotional, Reflektierend, Traurig
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