“Guten Morgen! Mein Pferd ist tot!”, sagte Sie in wütendem Tonfall, gleich nachdem sie mit finsterer Miene energisch die Küchentür aufgestoßen hatte. Genau in dem Moment stand ich an der Kaffeemaschine und sah verträumt dabei zu, wie der Kaffee langsam durch den Filter in den großen Glasbehälter träufelte. “Okay!”, antwortete ich mit einem fragenden Untertun und widmete meine volle Aufmerksamkeit wieder der sich füllenden Kaffeekanne.
Mit einem lauten Wums knallte sie die Küchentür daraufhin aber schon wieder zu, obwohl ich meine Antwort noch nicht mal fertig ausgeführt hatte. Verdutzt stand ich dann da. Im ersten Moment war ich mir nichtmal sicher, ob ich diese skurrile Szenerie gerade eben wirklich erlebt hatte.
Immerhin war es damals ja noch sehr früh am Morgen und vor dem ersten Kaffee ist mein Gehirn in etwa genauso leistungsfähig wie ein beschleunigendes Auto mit angezogener Handbremse. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle zu meiner Verteidigung erwähnen, dass ich mir nicht viel aus Pferden mache. Es steht außer Frage, dass Pferde ästhetische Geschöpfe sind, aber in meinem Leben haben sie bis jetzt nie wirklich eine tragende Rolle gespielt.
Ganz anders verhielt sich diese Thematik bei meiner damaligen Mitbewohnerin Jana. Sie könnte ganz ohne Probleme die Hauptrolle in einer Rosamunde Pilcher Romanverfilmung spielen, in der sie eine selbstständige Pferdewirtin mimt, die durch eine glückliche Schicksalsfügung einen irischen Unternehmersohn kennenlernt. Am Ende des Films kommt dann der gut betuchte Rosenkavalier mit ihr zusammen. In letzter Sekunde rettet er den von Schulden gebeutelten Reiterhof, kurz bevor dieser zwangsversteigert werden soll.
Morgens trägt Jana immer ihren bunt gesteiften Bademantel. Jedesmal wenn ich dieses schicke “Designerstück” zu sehen bekam, erinnerte es mich an den Bademantel den “Cornelius” im Film “Flucht vom Planet der Affen” getragen hat.
Abends kam Jana meistens spät nach Hause. Sie frönte nach der Arbeit sonderbaren Hobbys, wie zum Beispiel Acroyoga. Als sie mir das erste Mal davon erzählte, dachte ich man nennt es “Aggroyoga”. Quasi eine Art Yoga, um seine aufgestauten Aggressionen abzubauen. Es stelle sich aber schnell heraus, dass dem nicht so war.
Nach einer heißen Dusche startete Jana (wieder den geliebten Bademantel tragend) pünktlich um 23:00 Uhr mit den Vorbereitungen für ihr Abendessen. Dafür wurden jede Nacht die teuersten Bio-Kürbisse die man im Umkreis für Geld kaufen konnte, mit einem Stabmixer zu einer veganen Heilbrühe püriert.
Wir haben seitdem nie darüber gesprochen was genau an diesem Morgen mit ihrem “1 PS-Vehicle” passiert ist, trotzdem bekomme ich ein- oder zweimal im Jahr noch eine Nachricht von ihr. Justament in solchen Augenblicken erinnere ich mich dann wieder an ihren “trendigen” Bademantel, den nächtlichen Geruch von Kürbissuppe und natürlich an den “Tag des toten Pferdes”.
© Stefan Lehner 2020-04-26