by Irene Werren
Heute Sonntag herrscht Hochbetrieb auf dem Weihnachtsmarkt. Der ganze Markt ist eine einzige große Familie, ein Klüngel bunt zusammengewürfelter Leute: Großeltern mit ihren Großkindern, Familien mit Kinderwagen, Ältere und Jüngere, Menschen mit Rollstühlen, Paare und Alleinstehende. Allen ist etwas gleich: Sie sind dick vermummt in Winterjacken, Mützen, Schals, und sie schleppen schwere Taschen mit sich mit herum. Evas Glaskugeln sind heute schlicht der Renner, Steffis wollene Artikel gehen weg wie warme Semmeln, Violas Weihnachtskekse werden säckeweise gekauft und bereits unterwegs verzehrt, sogar Daniel ist heute sehr bemüht, einige Duftessenzen mit der nötigen Konzentration zu verkaufen. Und das zahlt sich für ihn aus.
Selbst Gianni rührt heute kiloweise Marroni heiß in seinem Ofen. Er freut sich: Heute lohnt sich das Geschäft. Wenn dies nur sein Vater sehen könnte! Henrys Krippen finden großen Anklang bei den Besuchern, er freut sich sehr darauf, seiner Frau von dem guten Tag zu erzählen. Er bittet Mia, dass sie eine Bienenwachskerze ziehen möge für seine Frau. Mia nickt eifrig. Sie ist mit zahlreichen Kindern aus dem Kindergarten beschäftigt und hilft ihnen geduldig beim Kerzenziehen. Adrian schenkt literweise seinen Glühwein aus und wechselt laut lachend einige Worte mit seinen Stammkunden. Es klingelt fröhlich in den Kassen, und der Weihnachtschor singt heute “Kling Glöckchen klingelingeling, kling Glöckchen kling”. Wieder und wieder ertönt das Lied in allen Lautstärken. Aus voller Inbrunst schmettern die Vollblutsänger den Text in die kalte Luft.
Das nostalgische Karussell läuft heute ununterbrochen, auch Erwachsene, die sich ein kindliches Gemüt bewahren konnten, sitzen selig auf einem der wunderschön bemalten Pferde. Barbara ist auch soeben auf eines geklettert. Während das Karussell seine Runden dreht, erhascht sie Giannis Blick, der zärtlich auf ihr ruht. Sein Blick versetzt ihr einen Stich. Sie kennt ihn doch von irgendwoher! Da traut sie ihren Augen kaum: Er trägt um den Hals IHREN violetten Schal! Wie ist das nur möglich?
ER steht außerhalb von diesem Treiben im Dunkeln und schaut dem fröhlichen Treiben unbeteiligt zu. Sein dunkles Herz bleibt unberührt. Das volle weihnachtliche Leben prallt an ihm ab. ER freut sich diebisch und reibt sich erwartungsvoll die Hände. Endlich. Die lange Suche hat sich gelohnt. ER hat Viola gefunden.
Weihnachten heisst … ein Licht erhellt die Dunkelheit.
© Irene Werren 2023-12-09