by Neo Knieps
Vorab: Alles hier entspricht meinen Erinnerungen. Es ist jetzt keine krasse Schauergeschichte, für mich war es aber echt schlimm.
Ich war noch sehr klein. Zu klein, um zu lügen, zu groß, um zu vergessen. An diesem Abend schlief ich im Zimmer meiner kleinen Schwester. Alles war wie immer. Ich lag unter meiner Decke, schloss die Augen. Dann war da dieses Rauschen – dumpf, gleichmäßig, fast wie ein elektrisches Summen. Ich wusste nicht, woher es kam. Dann wurde es still. Ich schlief ein.
Als ich wieder aufwachte, war alles anders.
Ich war nicht mehr im Bett. Ich lag auf etwas Glattem – keine Decke unter mir, kein Teppich. Ich bewegte vorsichtig meine Füße, streckte sie aus, und plötzlich durchzuckte mich eine kalte Erkenntnis: Unter mir war nichts. Luft. Ich lag irgendwo, irgendwo über dem Boden, ohne Halt. Ohne Wärme. Und ohne Erklärung.
Die Kälte fraß sich durch meine Kleidung, durch meine Haut. Ich begann zu weinen. Ich hatte solche Angst. Ich schrie. Ich rief nach meiner Mama. Nach meinem Papa. Immer wieder. Niemand kam.
Ich zog meine Arme und Beine ganz dicht an mich heran. Ich kauerte mich zusammen, so klein ich konnte, und versteckte meine Hände und Füße unter meinen Oberschenkeln. Ganz fest. Ich dachte immer wieder: Sie durften sie nicht bekommen.
Denn ich glaubte an sie. Die Monster. Ich glaubte, dass sie da waren, selbst wenn sie sich nicht zeigten. Ich sah sie vor mir, in der Dunkelheit meines Kopfes: Ihre glitschigen, nassen Leiber, viel zu lang, ohne Knochen, mit vielen Gliedern. Zungen wie rohe Fleischlappen, blutig und zitternd, die sich in krummen Bewegungen über den Boden zogen. Sie krochen unter mir her, tasteten sich an meinen Beinen entlang, langsam, absichtsvoll. Ich spürte sie fast.
Ich stellte mir vor, wie ihre Zungen gegen meine Haut drückten – kalt, klebrig, mit der feuchten Rauheit von verwesendem Fleisch. Wie sie sich aufrollten, kurz innehielten, dann mit einem einzigen, harten Ruck meine Knöchel packten. Und wie es dann kam: das Umknicken. Nicht wie beim Umfallen, sondern wie bei einem Spielzeug, das man absichtlich falsch herum dreht, bis es knackt. Und danach: das Reißen. Die Haut, die aufplatzt. Das Fleisch, das sich löst. Das Gelenk, das nicht mehr Teil von mir ist. Ich zitterte. Nicht nur vor Kälte, sondern vor dem, was ich glaubte. Dass sie da waren. Dass sie warteten. Ich wagte mich nicht zu rühren. Ich hielt mich fest. Ich weinte leise. Und irgendwann, nach einer Ewigkeit aus Furcht, schlief ich wieder ein.
Am nächsten Morgen wachte auf. Wieder im Bett meiner Schwester. Aber meine Decke – sie lag auf der anderen Seite des Zimmers. Weit weg. So, als hätte jemand sie weggezogen. Nicht ich. Das weiß ich. Ich weiß, es war kein Traum. Dafür erinnere ich mich zu genau. Dafür hat es sich zu kalt angefühlt. Zu real. Etwas war in dieser Nacht da. Etwas, das meine Füße und Hände wollte – zumindest glaubte ich daran.
© Neo Knieps 2025-05-06