by Sophia
Perugia, Juli 1990.
âSei proprio bellissima.â sagt die Frau am Klo des CaffĂ© Turreno.
Am Nebentisch zahlt der schönste Mann, den ich je gesehen habe. Elegant, geheimnisvoll, leuchtend grĂŒne Augen. Er fragt mich, ob ich ihm ein Restaurant empfehlen kann. Ob ich ihm die Freude mache, mit ihm zu Abend zu essen. Ich lehne ab. Er lĂ€chelt und geht. Ich Ă€rgere mich. Ăber meine barocke Erziehung, mein Pflichtbewusstsein.
Pawel kommt, selig, mit mir verabredet zu sein. Wir schlendern ĂŒber den Corso Vannucci, als ein Gewitter aufzieht. Wir flĂŒchten in eine winzige osteria.
Am hintersten Tisch sitzt er. Alleine. Der liebe Gott hat mir eine zweite Chance geschenkt. Herzklopfen. AufgerĂ€umt begrĂŒĂe ich ihn wie einen alten Bekannten. Er lĂ€dt uns an seinen Tisch. Das Spiel beginnt. Wir essen, lachen und flirten. Er erzĂ€hlt von seiner Arbeit bei N., seinen Reisen. Pawel ist glĂŒcklich.
SpÀter im Caffé del Cambio. Pawel steht auf, um mir einen Bacio Perugina zu holen, weil ich die noch nicht kenne.
âKommst du mit zu mir?â Es sind die ersten Worte, die Aldo auf Deutsch zu mir sagt. Das Du klingt fremdartig vertraut. Ich habe drei Sekunden, bis Pawel mit dem Bacio zurĂŒckkehrt. Ich sage: âUm halb eins vor dem Turreno.â
Pawel ĂŒbereicht mir den Bacio wie eine heilige Reliquie. âScusa, sono stanca. Mi accompagni a casa?â âMa i tuoi occhi brillano!â
Wir verabschieden uns höflich. Pawel begleitet mich vor den portone in der Via Ulisse Rocchi. Ich schwebe in den dritten Stock und sage Maria, dass ich heute nicht nach Hause komme.
Das Herz schlÀgt mir bis zum Hals, als ich vor dem Turreno in seinen schwarzen Mietwagen steige. Wir fahren in sein Hotel, das Lo Spedalicchio.
Der Nachtportier ruft an und bittet um meinen Ausweis. Aldo bringt ihn hinunter. Behutsam nimmt er die Verlegenheit von mir. Er kĂŒsst mich. Die Poesie des Unsagbaren nimmt Besitz von mir, dunkel und kostbar. Begehren. Leidenschaft. Innigkeit.
Am nĂ€chsten Morgen bringt er mich zurĂŒck in die Stadt. Meine Seele hat ihre FlĂŒgel noch weit ausgespannt.
Er reist ab. ZurĂŒck in die Schweiz. Anfang September ist er wieder in Perugia, doch ich höre nichts von ihm.
Als ich wieder zu Hause bin, schreibt er mir Postkarten. Viele, originelle. Aus Santa Monica, aus Bangladesch. 1000 GrĂŒnde, Sophia zu lieben. Er ruft mich an, aus Vevey, aus San Francisco. Dann ziehe ich weg. Meinen Vierteltelefonanschluss gibt es nicht mehr. Mit dem Adressbuch geht auch der Mensch verloren. Der Zauber eines anderen reiĂt mich fort.
Wir haben uns nie mehr wieder gesehen.
In der Nacht vom 2. Juni 2009 trĂ€ume ich von Aldo. Ganz intensiv. Er steht an der Schwelle zu meinem Schlafzimmer und blickt mich lange an. Er sagt nichts. Mein Mann atmet gleichmĂ€Ăig neben mir.
Am nÀchsten Tag google ich ihn. Ich starre auf das Autowrack neben dem kroatischen Tunnelportal, aus dem man vor wenigen Stunden die Fetzen seines schönen Körpers geborgen hat.
Die Liebe meiner Jugendjahre ist gekommen, um mir Lebewohl zu sagen. Addio, bell’alma.
© Sophia 2019-04-12