Ali. 1982-2020.

EvaFarniente

by EvaFarniente

Story

“Mann, hör auf mit dem Scheiß!” schreie ich dich an und schlage dir mit einer raschen Bewegung die Pillen aus der Hand. Du lachst nur und grinst mich frech an. “Ich will einfach nur meinen Spaß haben.“ sprichst du und es wirkt einen Hauch zu ruhig. “Dann trink’ einen ĂŒber den Durst, tanz zu wild oder brech’ nachts ins Schwimmbad ein! Aber nimm doch nicht jeden, verdammten Tag Drogen als wĂ€ren es Brausetabletten.” rede ich schnell auf dich ein. Meine Stimme hört sich schrill an. Du lĂ€chelst nur. Dieses leicht schiefe Ali LĂ€cheln, das auf den ersten Blick ĂŒberheblich, auf den zweiten Blick aber seltsam warm und heimelig wirkt.

Wie oft hatten wir diese Diskussion? UnzÀhlige Male. UnzÀhlige Male, in denen ich dich verurteilte, wenn nötig auch beschimpfte, nur damit du endlich damit aufhörst.

Heute weiß ich: Jede Sekunde, die ich auf dich einredete, war eine zu viel. Ich hĂ€tte die Zeit, die uns noch blieb, doch so viel besser nutzen können. Du erzĂ€hltest mir weiterhin von deinen feingeistigen Ansichten ĂŒbers Leben. Doch ich, anstatt tagelang ĂŒber deine Ideen nachzudenken und in mich hineinzulĂ€cheln, hörte gar nicht richtig zu. Zu sehr war ich von der fixen Idee dich vom tĂ€glichen Drogenkonsum wegzubekommen, besessen. Alles andere um mich herum verblasste.

HÀttest du mir nicht vorher sagen können, warum du das tust? Und warum wusste nur deine engste Familie davon? Wir waren doch Freunde! Aber vielleicht war das auch wieder so ein typisches Ali-Ding. Du tatst alles, um die bittere RealitÀt zu verbergen.

Die letzte Seite deines Lebens lĂ€sst mich sprachlos zurĂŒck. An manchen Tagen hasse ich mich auch ein bisschen dafĂŒr. Aber noch viel mehr verstehe ich nun dein Warum.

Letzte Woche bist du von uns gegangen. Nicht wegen deines Drogenkonsums, sondern wegen deiner unbesiegbaren Darmkrebserkrankung. Du wußtest seit Langem, dass du nicht geheilt werden kannst. Warum dann nicht den Schmerz mit Drogen betĂ€uben und ein bisschen Spaß haben, wie du es nanntest. Was hattest du auch zu verlieren? Noch mehr hĂ€tte man dir nicht stehlen können. Egal, was du ausprobiert und welcher Dummheit du dich hingegeben hast: Du konntest nur gewinnen.

“Du musst das Leben voll auskosten. Du hast nur das eine.” sagtest du letztes Jahr zu mir als wir im SpĂ€tsommer am Mainkai saßen. Die FĂŒĂŸe baumelten nur wenige Zentimeter ĂŒber dem trĂ€gen Fluss. Dann legtest du dein Handy, dein Portmonee und deinen SchlĂŒssel zur Seite, streiftest T-Shirt und Hose in einer raschen Bewegung ab und sprangst in den Main. Aus dem warmen Wasser lĂ€cheltest du mich breit an. Deine schwarzen, welligen Haare glĂ€nzten in der Abendsonne. “Mach mal was VerrĂŒcktes!”, schriest du mir vom Fluss aus zu, “Das Leben ist zu kurz, um immer nur im steifen Sommerkleid am Mainufer zu sitzen. Manchmal musst du springen, um was zu erleben.” Dann jauchztest du vor Freude.

Heute weiß ich, was du meintest. Manchmal musst du springen, um was zu erleben.

© EvaFarniente 2021-02-18

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