Samstagnacht. Wir waren auf einem Geburtstag nach einer anstrengenden Woche. Zutiefst zufrieden schaute ich meine Frau an. »Wir müssen morgen einmal gar nichts tun!« Ein kurzer Moment der Freude, eher mich unter immer weiter werdenden Augen die Erkenntnis traf. »Ich hab morgen früh einen Termin!« Sonntagstermine waren völlig unter meinem Radar.
Aus dem Bett gequält, fertig gemacht, versucht zu frühstücken und dann festgestellt, dass die Zeit nicht unbedingt mein Freund war. Ich war zu spät. Ich hasse es, zu spät zu sein. Nachdem die Parkplatzsuche auch ein wenig länger gedauert hatte, als geplant, bahnte ich mir unter der stärker werdenden Sonne und typischer schwüler Luft den Weg durch die Karlsruher Straßen. Noch eilig auf dem Handy eine Nachricht getippt: Bin gleich da« und dabei beinahe noch gestolpert. Endlich vor der verschlossenen Tür angekommen, betätigte ich die Klingel. Die Sprechanlage begann lauthals zu tröten, bevor sie wieder verstummte. Ich wartete. Und wartete. Und wartete. Vielleicht hatte er das ja auch nicht gehört. Also das gleiche Spiel nochmal. Nichts geschah. Bereits zehn Minuten vergangen. In Ordnung, ich rufe ihn mal an. Er nahm nicht ab. Kurz kam mir der Gedanke, dass wir uns gar nicht im Büro treffen wollten, sondern bei ihm zu Hause oder in einem Café. Nachdem ich mich in dem Chatverlauf vergewissert hatte, dass ich richtig war, konnte ich mein Herz von der Hose auch wieder dahin zurückschieben, wo es hingehörte. 15 Minuten zu spät. Das war untypisch. Ich rief ihn erneut an. Keine Reaktion. Langsam machte ich mir Sorgen. Dann klingelte mein Handy. Er habe bis in die Nacht hinein einen Einsatz gehabt und den Wecker nicht gehört. Kein Problem! Ich weiß ja, wie es ist. Einfach in das nächste Café und gutgehen lassen. Ich war noch nie alleine in einem Café. Und mein Handyakku neigte sich auch dem Ende. Großartig. Trotz unwohlem Gefühl machte ich das Beste daraus. Ich saß draußen an einem Tisch mit drei Stühlen. Ich hoffte, das war in Ordnung. »Frühstück?« – »Nein, danke. Aber einen großen Milchcafé und ein kleines Wasser, bitte.« Links und rechts von mir ältere Pärchen. Die Zeit am Handy vertreiben konnte ich mir nicht, also – so dachte ich mir – saß ich einfach und beobachte. Es war nicht unbedingt die schönste Gegend in Karlsruhe. An einer Verkehrskreuzung für Auto und Bahn, gegenüber einem Waffengeschäft. Aber das Eckgebäude links vor mir war ein schöner Altbau! Ich bekam eine Zitrone in meinem Wasser. Eigentlich mag ich das nicht, aber heute war das irgendwie okay. Ich spürte, wie sich meine Welt auf einmal langsamer drehte. Entschleunigte. Ich fühlte mich geerdet. Ich beobachtete die Menschen. Eine Frau mit ihrer kleinen Tochter, ein altes Paar händchenhaltend, ein älterer Herr mit einem Holzbalken unterm Arm und eine junge Frau mit einem Stuhl über dem Kopf. Die Krönung war eine alte Frau mit ihrem Rollator, welche an der Kreuzung die Ampel betätigte, nur um direkt danach über Rot zu laufen. Im Schneckentempo über die komplette Kreuzung. Ich musste schmunzeln. Was man so alles sah, wenn man sich nur darauf einließ. Und das in nur 40 Minuten.
Alleine im Café ohne Handy war letztendlich ein kleines, langsames Highlight in einer so rasanten Welt. Deshalb ausnahmsweise: Danke fürs Verschlafen!
© Niclas Eckert 2024-05-27