Alles bloß kein Märchen

dieschreiberei

by dieschreiberei

Story

Ein Gefühl beschleicht mich. Irgendwie kommt mir hier alles so bekannt und doch so fremd vor. Überall stehen kleine Hütten, davor drapiert winzige Tische mit noch winzigeren Stühlen. Dann macht es Klick. Der Schalter ist gefallen. Ich fühle mich um Jahre zurückversetzt. Eingekuschelt in meine Decke, habe ich immer sehnsuchtsvoll darauf gewartet. Die Ohren gespitzt. Wortwörtlich mit dem Spitzer. Man sollte sich wohl immer genau überlegen, was man Kindern für Flöhe ins Ohr setzt. Jeden Abend hat mir meine Oma ein Märchen vorgelesen. Ich habe sie geliebt und vor allem gelebt. Und genau so fühle ich mich jetzt. Angekommen bei den sieben Zwergen und Schneewittchen.

Vorsichtig lasse ich mich auf einem der Stühle nieder. Da kommt plötzlich eine Scharr kleiner Kinder auf mich zu. Die Pädagoginnen sehen mich verdutzt an. Sofort springe ich hoch und stammle: „Oh, es tut mir leid…aber…keine Tür…“. „Kein Problem, hier sitzt immer wieder mal jemand herum. So ist das eben mit einem Kindergarten im Wald“, sieht sich mich mit freundlich strahlenden Augen an.

Zwei Kinder haben mich in Beschlag genommen. Wie aus einem Wasserfall sprudeln ihre Worte auf mich ein. Eine Führung durch ihren wunderbaren Kindergarten bekomme ich natürlich auch. Und die Buchstabensuppe geht selbstverständlich aufs Haus. „Hier bei euch fühle ich mich ja wie in einem fünf Sterne Hotel“, lache ich. „Das hat mein Papa auch schon einmal gesagt, aber an den Betten hatte er dann doch etwas auszusetzen“, erzählt ein Junge ganz ernsthaft.

„Magst du uns noch helfen beim Vorbereiten für das morgige Sommerfest?“, sieht mich ein kleines Mädchen bittend an. „Selbstverständlich“, ist das einzige Wort, das man noch hören kann. Die anderen gehen unter. Unter im Jubel der Kinder. Ich grinse wie ein Honigkuchenpferd und schwelge den ganzen Vormittag über immer wieder in Erinnerungen.

„Es ist so wunderbar, in die leuchtenden Augen der Kinder zu blicken. Ich hätte nie gedacht, dass man seinen Beruf so sehr lieben kann. Aber das hier. Ist einfach unbezahlbar. Wenn man Kinderherzen lachen sieht, lacht das eigene automatisch mit. Und all die kleinen Dinge werden durch Kinderaugen plötzlich riesig groß“, rührt mich eine der Pädagoginnen zu Tränen.

Mit vereinten Kräften schleppen wir die Box in eine der Hütten. Dort liegen schon viele Gegenstände. Alle in den Startlöchern, um bei der Tombola Freude zu bereiten. Meine Box ist mit vielen Kleinigkeiten befüllt. Viele sind in Vergessenheit geraten. Als ich sie öffne, preschen die Erinnerungen auf mich ein. Und ich weiß, dass ich sie gehen lassen muss und will. „Und das willst du uns wirklich alles überlassen?“, sieht mich Holli fragend an. „Ihr würdet mich wunschlos glücklich machen. Schön langsam muss ich aufpassen, dass mein Herz nicht platzt“, murmle ich hinter einem Tränenschleier hervor.

Wie gerne wäre ich noch bis morgen geblieben.

© dieschreiberei 2021-07-08

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