by A N
Einmal hat sie mich gefragt, ob ich es Nora sagen werde. Ich hab mich überrumpelt gefühlt und nicht gewusst, was ich antworten soll. In der angespannten Stille sind ihre Mundwinkel immer schlaffer geworden. “Du weißt, dass ich das nicht einfach so machen kann. Bei ihr ist es sowieso gerade schwierig, ich muss den richtigen Moment finden”, habe ich gesagt und gehofft, dass es das Richtige ist. “Ich weiß, tut mir leid”, hat sie nur gesagt. Es war das Richtige, sie ließ ab. Aber die Stimmung war hinüber. Sechs Wochen ist das jetzt her, seitdem hat sie Nora nicht mehr erwähnt. Sie ist entweder sehr geduldig oder sehr verliebt. Der Gedanke macht mich nervös, weil ich weiß, wie ungeduldig sie ist.
“Los jetzt, ich mach uns Kaffee”, sagt sie, so als könnte sie meine Gedanken lesen. Ich weiß, dass sie versucht, mehr als Sex aus uns zu machen. Ich beobachte sie, wie sie ihr grünes T-Shirt vom Boden fischt und überzieht. Sie lehnt sich über die Bettkante und guckt sich um. Mit dem großen Zeh angle ich ihren Slip vom Boden rechts neben mir hin zu ihr rüber. “Danke”, sagt sie und blinzelt dabei übertrieben höflich. “Gern geschehen”, sage ich ebenso übertrieben höflich und lächle. Ihr Haar fällt ihr in langen roten Strähnen ins Gesicht. Mit ihren Sommersprossen sieht sie selbst so früh morgens schon aus wie das pure Leben. Es bringt nichts, mir einzureden, sie wäre mir egal. Stattdessen denke ich: Ich will niemandem wehtun.
Der Kaffee tut, was er tun soll: Er weckt mich auf. Das ist einerseits bitter nötig. Andererseits ist mein Verstand nach einer Nacht bei Maja im Wachzustand noch schwerer zu ertragen. Wir sitzen auf dem Boden des Balkons, der jetzt am Morgen ganz anders aussieht als bei Nacht. Unsere Weingläser und der Aschenbecher stehen noch auf dem nackten Beton. Sie hat hier keine Möbel, nur einen dieser plastikglänzenden Outdoor-Teppiche, aber er füllt nicht die ganze Fläche aus. Hinter den Eisenstangen der Brüstung dehnt sich immer noch die Stadt. Im Tageslicht ist das Kerzenmeer nur eine Ansammlung grauer Rechtecke.
Ich atme die feuchte Morgenluft ein und halte sie mit aufgeplusterten Wangen fest. Langsam lasse ich sie zwischen den Lippen entweichen. “Ich will nicht gehen”, sage ich und schiele zu ihr rüber. Es ist Ende September. Zu sommerlich, um den Kaffee nach drinnen zu verlegen, zu kalt für die kurzen Klamotten, die wir tragen. Sie wärmt ihre Hände an ihrer Kaffeetasse und schaut mich an. “Niemand geht gerne zur Vorlesung. Und alle, die was anderes sagen, belügen sich selbst”, sagt sie. Müsste ich wirklich um 10 in der Uni sein, dann wären wir wahrscheinlich nur zwei Menschen, die seit zwei Monaten dabei sind, sich beim Vögeln zu verlieben. Dann würde ich ihr jetzt zustimmen und lachen. “Stimmt”, sage ich und schnaube lächelnd durch die Nase aus. Sie lächelt zurück. Keine Ahnung, warum ich so überzeugend bin. In letzter Zeit wünschte ich häufiger, ich wäre es nicht.
© A N 2023-05-22