Nun war es wieder so weit! Neujahrswünsche an die anderen Hausparteien zu übermitteln, die jüngsten Kinder unserer sechsköpfigen Familie, also ich, schon acht Jahre alt und mein kleinerer Bruder!
Drei Jahre lang begleitete dieses kleine Gedicht mit besten Wünschen, vorgetragen unserer allein lebenden alten Frau im Erdgeschoß, erfolgreich für unser hungerndes Sparschwein.
I bin a kloans Binkerl, i stö mi ins Winkerl.
Und weil i nix kann, fang i nix an!
Drei Jahre lang stand sie schmunzelnd vom Sofa auf und langte nach den für uns vorbereiteten, zwei Schillingen auf der Kredenz. Aber heuer sprach sie dafür meine Gedanken aus, die ich schon in kurzer Vorahnung beim Anklopfen aus einem Gefühl heraus mit hinein nahm. Zu wenig Neues ins neue Jahr! Gleichklang, drei Jahre lang! „Kannst auch einmal was Neues lernen!“ Verstehen konnte ich ihren plötzlichen Hang zu Neuem in ihrem Alter gerade nicht, wo doch Altbewährtes größte Sicherheit bietet und ein gewisses Wagnis im Neuen schlummert. Es war mir nur recht, dass sie nicht zur Kredenz langte, sondern dem unschuldigen Bruder ein grünes kleines Tannenbäumchen, gerade mal so zwanzig Zentimeter mit winzigen, gerade mal zwei Zentimeter echten Wachskerzerln gab und uns mit Dank und die besten Wünsche für die ganze Familie nach Hause schickte.
Nur der Weihnachtsabend, so frisch im Gedächtnis und das Gefühl, schon ewig alt und ewig neu, soll immer gleich bleiben dürfen!
Wir werden uns das Christkind zurückholen, in einer kleinen Feier mit unserem immergrünen Geschenk, sobald wir einmal alleine für ein paar Stunden zu Hause bleiben dürfen.
Diese einmalige Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten und wir stürzten uns in die Vorbereitungen. Am besten am Küchenboden das Bäumchen gestellt, denn am Linoleum würde man das Kerzenwachs leicht entfernen können. Dann holten wir die kleine, sechs Zentimeter große Zelluloid-Puppe, ein Weihnachtswunsch meiner Schwester, platzierten sie mit Festtagskleidung neben das Zelluloid-Bäumchen. Dann mixten wir uns für nachher noch Kakao und Zucker, Ersatz für den fehlenden süßen Behang.
Im Schneidersitz saßen wir vor unserem Bäumchen und ganz schnell zündete ich die Kerzerl an, deren Schein allzu schnell zu verschwinden drohte und zu kräftig sangen wir die ersten Worte, um gleich wieder zu verstummen. Ein kleiner Feuerball wirbelte in die Luft, wirbelte zu Boden und brannte ein schwarzes Loch in den Küchenboden. Schwester, wir werden das Sparschwein schlachten müssen!
© Gertrud Scherz 2020-12-27