Kein einziges Mal habe ich es geschafft, vor Dir aufzuwachen. Sobald ich die Augen aufschlug, war da schon Dein Lächeln, das mich empfing. Dann hast Du mich angeschaut. Nur angeschaut. Ich konnte es in den kleinen Fältchen rund um Deinen Mund lesen, wie sehr Du mich liebtest. Lange haben wir schweigend so da gelegen und doch soviel dabei gesagt.
Am Abend hast Du die Ellenbögen auf der Tischplatte abgestützt und das Kinn in Deine Hände vergraben. Dann hast Du mir tief in die Augen geschaut und mich gefragt, wie mein Tag war. Ich erzählte Dir von meinen Abenteuern und gemeinsam heckten wir neue aus.
Alles ging Dir leicht von der Hand. Das Leben war für Dich ein Spiel. Der Erfolg fiel Dir zu wie eine reife Frucht. Wie selbstverständlich hast Du Deine Taschen gefüllt. Und Du hast gelacht. Du hast viel gelacht. Damals.
“Schon wieder so eine verdammte Absage!”, schreist Du mich an, “Das ist doch alles Zeitverschwendung.”
“Irgendwann wird schon etwas Passendes dabei sein”, will ich Dich aufmuntern.
Aber Du wirst nur noch zorniger: “Einen Scheiß wird es!”
In letzter Zeit sagst Du mir “Guten Morgen”. Aber es klingt hart. Und kalt. Als wärst Du wütend, dass die Nacht vorbei ist und Du einen neuen Tag ertragen musst. Einen neuen Tag mit mir. Am Abend kommst Du heim. Du setzt Dich vor den Fernseher. Ich weiß nicht, wo Du den ganzen Tag gewesen bist. Ich frage Dich nicht. Ich habe Angst. Ich habe Angst, denn Du siehst nur durch mich hindurch. Ich bin unsichtbar für Dich.
“Weißt Du noch, was Du früher immer zu mir gesagt hast?“ Ich versuche, Deine Erinnerung zu wecken. Möchte Dir einen Geschmack davon geben, was wir hatten. Ich will es zurück. Ich will DICH zurück. ”Du gibst mir so viel Kraft”, hast Du immer zu mir gesagt.
“Und jetzt nimmst Du sie mir”, schießt es aus Dir heraus.
Der Satz trifft mich wie ein Pfeil mitten ins Herz. Die Zeit steht still. Es hallt in mir nach: “Jetzt nimmst Du sie mir…” Mir wird schwindlig. Ich falle. Ich falle ins Bodenlose. Was ist passiert? Was hab ich getan? Das alles und noch viel mehr will ich Dich fragen. Aber ich ersticke an diesem einen Satz: “Jetzt nimmst du sie mir.”
Du hast wohl bemerkt, was Deine Worte angerichtet haben. Dein zorniges Gesicht verwandelt sich mit einem Mal in ein sanftes. Es erinnert mich an früher. Es erinnert mich an die Zeit, als Du mich liebtest.
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© Andrea Eva Ritzberger 2021-09-29