Als ich plötzlich keine Oma mehr hatte.

Johannes Perl

by Johannes Perl

Story

Vor gut drei Jahren ist meine Oma gestorben. Sie hat früher immer auf uns Kinder aufgepasst, daher war die Trauer natürlich groß. Aber ich hatte noch eine zweite Oma, und auch einen Opa. Es war immer wunderschön zu sehen, wie liebevoll mein Opa mit meiner Oma umgegangen ist. Heute habe ich erfahren, dass ich seit gestern Abend keine Oma mehr habe.

Mein Opa hatte immer, hat er heute noch, eine gewisse Vorbildwirkung auf mich gehabt. Seinetwegen fahre ich Käfer und jedes Mal, wenn wir uns sehen, was in Zeiten wie diesen eher selten der Fall ist, fragt er mich, ob ich wieder mal bei der Rettung im Dienst bin. Aber das Beeindruckendste an unserem Opa ist stets seine Liebe zu unserer Oma und zu unserer ganzen Familie gewesen, die er, ähnlich emotional wie ich, auch immer wieder, oft unter Tränen, zum Ausdruck gebracht hat.

Dieses Ehepaar war irgendwie immer da. Hat es immer schon gegeben. Es war immer so schön zu sehen, wenn die beiden Großeltern nebeneinander gesessen sind und sich an den Händen gehalten haben. Oder wenn Opa seiner Frau dabei geholfen hat, sich hinzusetzen. Die Beiden waren immer da. Und immer unzertrennlich. Jetzt aber plötzlich nicht mehr. Mich macht der Gedanke traurig, dass unsere Oma, Perl-Oma, so haben wir immer zu ihr gesagt, nicht mehr da ist. Noch trauriger macht mich aber, dass unser Perl-Opa jetzt alleine ist.

Dabei ist er nicht alleine. Wir sind eine große Familie, die schon so manchen Sturm durchgestanden hat. Und die auch diesen Sturm überwinden und für unseren Opa da sein wird. Jetzt und immer. Und auch für unseren Papa und seine Geschwister. Und für alle anderen Menschen, denen unsere Oma etwas bedeutet hat. Leider konnten wir uns nicht bei unserer Oma verabschieden, die Umstände verhinderten einen Besuch.

Es hat immer Traditionen in unserer Familie gegeben. Zu Ostern findet die Fleischweihe jedes Mal bei Opa statt. Zu Weihnachten ist seit jeher der zweite Weihnachtsfeiertag für den Besuch im Elternhaus unseres Papas reserviert. Letztes Jahr hat weder das eine noch das andere stattgefunden. Und keiner von uns hätte damals vor zwei Jahren gedacht, dass dies das letzte Mal sein würde, dass diese Traditionen mit unserer Oma stattfinden. Zum nächsten Ostern und an Weihnachten werden wir hoffentlich wieder unsere Liebsten besuchen können, und beide Tage sind wieder für unseren Opa reserviert. Auch wenn es uns allen schwerfallen wird, zu sehen, dass Omas Platz leer bleibt.

Schon oft habe ich gesagt, dass wir einen Schutzengel haben, der uns auf unseren Wegen begleitet. Seit gestern Abend haben wir sogar zwei Schutzengel. Mit ihrer Hilfe wird alles gut werden und sie werden auf uns aufpassen. Dort, wo sie jetzt sind, geht es ihnen gut. Und sie warten darauf, dass wir, die sie hier vermissen und sie geliebt haben, zu ihnen kommen.

© Johannes Perl 2021-02-11

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