Altenpflege Entspurt Teil 2

Vanessa Müller

by Vanessa Müller

Story

Ich hatte mit der Praxislehrerin keinen guten Fang gemacht und konnte es leider nicht rückgängig machen. Sie machte mir meine restliche Ausbildungszeit zur Hölle. Sie stellte mich bloß vor der Klasse und verlangte Sachen von mir, z. B. Vorlesen von medizinischen Texten, obwohl sie wusste, dass mein Stottern intensiv sein würde und ich keine richtige Kontrolle hatte. Außerdem schlich sie sich oft von hinten an und sagte: ,,Nur noch ein paar Tage bis zur nächsten Sichtstunde. ” – Dies betonte sie voller Schadenfreude und warf mir dabei einen sehr unangenehmen Blick zu, der mich Schachmatt stellte. Selbst meine Freundin bemerkte ihr unangebrachtes Verhalten und sprach mir Mut zu. Leider half mir der Zuspruch von Mut nicht in den Sichtstunden. Meine Gedanken kreisten langsam um die praktische Abschlussprüfung, die immer schneller herankam. Ich wusste nicht, wie ich diese bestehen sollte. Auch mein Stottern wurde für mich immer unerträglicher und ich beschloss daher im 3. Lehrjahr aus der Angst heraus, als ich hörte, dass mir eine mündliche Abschlussprüfung bevor stand, wo viel Kommunikation gefragt war, den Mut zusammen zu nehmen und eine logopädische Behandlung anzufangen. Und soll ich Ihnen etwas sagen? – Ich habe diese Entscheidung nie bereut und würde es immer wieder tun, nur etwas zeitiger. Klar, am Anfang ist es ein komisches Gefühl, da ich dachte, Sprechtherapie ist nur für Kinder und Jugendliche und ist ein Zeichen von Schwäche, begleitet mit hohem Schamgefühl. Nach kurzer Zeit merkte ich aber, dass es Mut und Stärke zeigt, diesen Weg einzuschlagen und mittlerweile freue ich mich jedes Mal, wenn ich zur Sprechtherapie gehen kann und möchte es nicht mehr missen. In meinen Augen ist es ein Geschenk. Die Prüfungen näherten sich und ich beantragte mithilfe meiner Therapeutin einen Nachteilsausgleich, in der Hoffnung, dass ich mehr Zeit bei den Prüfungen bekommen würde. Es hat sehr lange gedauert, bis der Nachteilsausgleich von der Schule und dem Landesverwaltungsamt bewilligt wurde. Letztendlich bestand ich die schriftlichen und mündlichen Prüfungen. Bei der praktischen Prüfung war das Glück leider nicht auf meiner Seite. Ich hatte starke Stottersymptome und mir gelang keine Kontrolle, es zu stoppen. Die Zeit ging rasend schnell um und meine Enttäuschung war sehr groß. Besonders enttäuscht war ich von meinen Lehrern. Sie lachten über mein Stottern und stellten mir Fallen in der Prüfung. Ich hatte keine Chance. Auch beim 2. Versuch gab es für mich kein Erfolgserlebnis, sondern erneute Enttäuschung und Selbsthass. Die Ausbildung war vorbei und ich durfte mich nicht als Pflegefachkraft nennen. Ich war am Boden zerstört und eine Welt brach für mich zusammen. Mein großer Traum war geplatzt und die Pflegebranche hatte für weniger Bedeutung, als vorher.

Wochen später war die Zeugnisfeier und zum Glück sah ich meine Klasse dort ein letztes Mal. Äußerlich zeigte ich Freude, da 3 Jahre endlich vorbei waren, aber innerlich zerbrach ich an dem Gedanken, dass ich keine Fachkraft geworden bin. Mein Zeugnis glänzte nur von guten Noten, aber brachte mich nicht weiter. Ich hatte vor in der Pflegebranche erstmal tätig zu bleiben und bekam in einer Tagespflege schnell eine Zusage als Pflegehelferin…. Ich war zwar überglücklich, aber auch erneute Angst und Zweifel waren im Vordergrund und ich stellte mir die Frage: Macht es dich glücklich?…


© Vanessa Müller 2023-07-08

Genres
Biographies