Am Chlodwigplatz in der Südstadt

Sybille B. Lindt

by Sybille B. Lindt

Story
Köln

Als ich nach Köln kam, war die Südstadt das angesagteste Veedel und der Chlodwigplatz ihr Herz. Heute sind auch die Zülpicher Straße und Ehrenfeld szenisch. Unter dem Platz befinden sich Spuren der Ubierstadt aus römischer Zeit. Vor ihm gibt es ein Rondell für Straßenbahnen, Busse und Autos, die in fünf Richtungen davonfahren können. Vom Süden kommt die Bonner Straße, die hinter der Severinstorburg als Severinstraße die alte Römerstraße weiterführt, vom Osten der Ubierring, der hinter dem Chlodwigplatz zum Karolingerring wird. Der Platz wurde 1883 nach dem fränkischen König Chlodwig I. benannt. Unter Platanen sind Sitzplätze angelegt und Gastronomen jeglicher Art stellen ihre Tische und Stühle weit auf den Platz hinaus. Auch am Rondell gibt es Cafés und Kneipen. Ich setze mich vor das Café Meister Gerhard, das ebenso spartanisch eingerichtet ist wie das Café Kult nebenan. Blank gescheuerte Holztische, alte Holzstühle, nicht aufgemotzt, vermutlich vom Trödler geholt. Ein lockerer junger Mann in blauem T-Shirt bedient mich. Bestelle einen Kaffee, schaue dann in die Eiskarte, die mit einem Henry-Miller-Spruch eingeleitet wird. – Jeder Krieg ist eine Niederlage des menschlichen Geistes. – Sicher ein sinnvoller Spruch, doch die Verbindung zu Meister Gerhard und dem Chlodwigplatz ist mir nicht klar. Falls nicht die uralten Kämpfe der Römer gegen die Eburonen, Alemannen, Cherusker und andere gemeint sind. An der nächsten Querstraße sehe ich italienische Gastronomie. Zur Severinstorburg hin befinden sich noch etliche Lokale. Die Südstadt war von jeher bei Künstlern, Alternativen, Studenten, Intellektuellen und Multikulti-Leuten beliebt. Scheinbar kommen die Migranten hier hauptsächlich aus spanischsprachigen Ländern. Beobachte die Vorbeiziehenden: Eine griechisch aussehende Alte mit rosa Baseballcape, drei Mittelalter-Männer mit einem Rolli, eine schlanke Rothaarige in schwarzem Kleid, eine kernige Omi mit dreijährigem Lockenkopf, mehrere dunkelhaarige runde kleine Latino-Frauen, ein afrikanisches Liebespaar, eine große hübsche Schwarze mit langem Haar, eine mongolisch aussehende Frau in Jeans, eine Latino-Frau mit Baby, das einen Strohhut trägt, zwei Kinder auf Rollern, ein älteres Ehepaar, sie mit Strohhut und Blumenborte, ein Grauhaariger mit Rollator, ein jüngerer Mann mit schwarzem Hemd und dem Schriftzug Titus, eine elegante Alte in schwarzen Hosen mit weißen Punkten, das graue Haar zum Dutt gesteckt, geht wacklig. Eine hübsche Ältere in violettem schwingenden Kleid mit langer Kette und glattem Haar, ein Blinder mit weißem Stock und dunkler Brille, die erste Kopftuchfrau mit zwei Kindern. Die Leute sehen nicht so ökospartanisch aus wie in Lindenthal, sie sind üppiger hier. Ein junges Mädchen in löchrigen Jeans mit weißem T-Shirt und der Aufschrift USA, ein Alter mit wehendem weißen Haar, kurzen Jeans und weißem Vollbart, ein junges Mädchen in schwarzem T-Shirt mit dem Aufdruck Mickey Mouse, eine kleine Frau im T-Shirt mit dem Wort Mallorca, zwei chinesisch aussehende Frauen, neben mir eine blondgefärbte Portugiesin, drei kleine Mädchen, die Italienisch und Deutsch sprechen, ein altes deutsches Pärchen um die 75, er mit weißem Pferdeschwanz, hager, lächelnd, sie einen Kopf kleiner, rotblond gefärbt, bleibt vor meinem Tisch stehen. Der Hagere gibt seiner ebenso alten Frau einen Kuss. Ja, das mag ich.

© Sybille B. Lindt 2024-03-06

Genres
Novels & Stories
Moods
Informativ, Inspirierend, Unbeschwert