Am Fischmarkt

Ada Diagne

by Ada Diagne

Story

Ihr ganzes Leben hatte Fatima auf dem Fischmarkt verbracht. Sie hatte hier ihre Kinder großgezogen und später ihre Enkelkinder; sie hatten zwischen den Holzständen laufen gelernt und in den bunt bemalten Fischerbooten gerauft. Fatima selbst hatte den Ruf einer harten Geschäftsfrau. Sie hatte ein Ohr für gute Kunden. Sie konnte am lautesten verhandeln und hielt am längsten durch.

„Wenn deine Kinder so einen Sturschädel wie deinen haben, musst du um deinen Geldbeutel nie fürchten“, lachten die anderen Händlerinnen.

Fatima lachte nicht. Es ging ihr nicht um Geld. Nur um einen fairen Preis. Wenn sich der Fischmarkt abends leerte, saß sie auf einer kleinen Steinbank und betrachtete die silbrigen Wellen. Das Meer hörte sich jede Nacht anders an. Nach Hause ging Fatima nur zum Schlafen, am nächsten Morgen stand sie wieder hinter ihrem Stand.

Für Fatima war Fisch Geschäft und Heimat zugleich. Sie mochte es nicht, wenn der Marktboden mit totem Fisch übersäht war, weil die jungen Fischer ihn schlecht verstauten.

„Wenn ihr weiter so macht, wird das Meer bald sein Maul schließen“, rief sie ihnen zu.

Die Jungen lachten nur. Dann kümmerten sie sich wieder um ihre Boote.

Fatima war aufmerksam, das war sie immer schon gewesen. Sie wusste, welcher Fisch in welchem Monat am häufigsten gefangen wurde. Sie bemerkte zuerst, als die Netze weniger prall waren als im Vormonat. Irgendwann merkten es auch die anderen.

„Wir werden die Jungen zurechtweisen“, sagte Adja, ihre Standnachbarin.

Fatima schwieg lange. „Das sind nicht die Jungen.“

In den nächsten Jahren kamen die Boote mit immer leereren Netzen zurück. Die jungen Fischer erzählten, was sie am Meer gesehen hatten: mächtige Schiffe aus Stahl, Kräne wie Fangzähne.

„Sie haben die größeren Netze”, sagte einer.

„So viel Fisch kann doch keiner verkaufen!”, ein anderer.

„Wo kommen die überhaupt her?”

Fatima knirschte mit den Zähnen. Nicht lange und der prekäre Fischbestand stand in allen Zeitungen. Die Jungen fuhren immer weiter raus aufs Meer und kamen immer später zurück. Die Boote wurden nicht mehr voll. Am Fischmarkt breitete sich Unruhe aus. Manche Jungen sprachen davon fortzugehen, auch Fatimas Söhne.

„Was wollt ihr denn machen?“, sagte Fatima. „Ihr seid Fischer, das waren wir immer schon!“

Die Söhne zuckten mit den Schultern. Dann küssten sie ihrer Mutter die Wange.

„Bald wird das Meer sein Maul schließen“, sagten sie traurig. „Wir haben es gesehen, Mama.“

Nachdem sie fort waren, schickten sie Geld nach Hause. Fatima schickte es zurück. Sie stellte sich wieder hinter ihren Holzstand und begann zu verhandeln.

© Ada Diagne 2021-08-04

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