Ich hatte Papawochenende, was bedeutete, dass, wie jedes Papawochenende Entenfüttern angesagt war. Wie immer wollten wir den Park nicht vom großen Haupteingang des Nymphenburger Schlosses her betreten, sondern durch den wesentlich ruhigeren Hintereingang. Egal ob man von Osten durch den Haupteingang kommt oder sich von Westen her nähert, man geht erst an dem Kanal entlang, der das Schloss und seine Brunnen, Wasserspiele und kleine Seen mit Wasser versorgt. Jahre später würde ich meiner Tochter vieles über das Schloss, den Park und den Kanal erzählen können, aber damals interessierten sie vor allem die Enten, die ganz normalen Stockenten. Das war auch der Grund dafür, dass wir wie immer für die nicht einmal 200 Meter bis zum kleinen Westeingang fast eine halbe Stunde brauchte.
Offensichtlich hatte jemand Kanalaufwärts das Ufer gemäht, denn den ganzen Weg sahen wir Gras an uns vorbeitreiben. Ganz vorne, wo ein Gitter und ein großer Holzbalken quer über dem Kanal verhindert, dass Äste und Dreck in das Schloss fließen, hatte sich ein richtiger Grasteppich gebildet.
Fast am Eingang angelangt entdeckte ich einen kleinenZaunkönig, der direkt vor mir, in einem Busch saß. In meiner Erinnerung hat mich der Zaunkönig nur ganz kurz davon abgehalten meine Tochter zu beobachten und ich weiß auch noch, dass ich froh war, dass sie in diesem Moment ganz leise war. Ich war auch nicht beunruhigt als ich mich umdrehte und sie nicht sah, eher erregte ein junger Jogger meine Verwunderung, der in voller Montur, an diesem nasskalten Tag in den kalten Kanal sprang, kaum 5 Meter von mir entfernt. Ich hatte ihn vorher gar nicht bemerkt und auch jetzt war nichts mehr von ihm zu sehen, denn die Grasdecke auf dem kalten Nass hatte sich sofort wieder über ihm geschlossen. Aber schon im nächsten Augenblick tauchte er wieder auf, meine kleine Tochter in den hochgereckten Armen. Noch völlig unter Schock nahm ich meinen kleinen Schatz aus seinen Händen, wickelte sie in meinen warmen Mantel. Zu Hause angekommen steckte ich Lisa in die warme Badewanne, wo sie bald fröhlich mit den kleinen Quietschenten spielte.Als sie so ihre Enten schwimmen und tauchen ließ, sagte sie plötzlich:”Hab auch getaucht, war ganz tief.” In dem Moment kam mir das ganze Geschehen zum Bewusstsein, dass mein Engel den Grasteppich für Wiese gehalten hatte, einfach weitergelaufen war und einfach vom Wasser verschluckt worden war. Und ich sah den Retter vor mir triefend vor Wasser und ich hatte mich nicht einmal bedankt.
Sosehr ich mich auch bemühte ich habe ihn nie mehr wiedergesehen. Aber gedacht, gedacht habe ich seitdem fast täglich an ihn, wie anders wäre mein Leben ohne ihn verlaufen.
Vor einigen Wochen war ich mit meinen beiden Enkelkindern, wie damals mit ihrer Mama zum Enten füttern am Kanal und am Hintereingang angekommen erzählte ich ihnen diese Geschichte von den Enten, dem Zaunkönig und vor allem dem Retter, der damals nicht nur ein Leben gerettet hatte.
© Gernot Gessendorfer 2020-12-22