by Kurt Mikula
Einmal im Leben den Kilimandscharo besteigen und stolz auf dem Dach Afrikas stehen. Das ist für viele Menschen die Erfüllung eines Lebenstraums. Und den erfüllen sich jedes Jahr 50.000 Menschen. Natürlich nicht allein. Denn am Kili ist man immer mit Guides und Trägern unterwegs. Solo-Besteigungen sind verboten. Man muss nicht einmal Verpflegung mitnehmen. Am Trail bekommt man dreimal täglich was Warmes. Das kostet dann auch ein paar Tausender.
Ich war noch nie auf dem Kili. Dafür kenne ich alle Gipfelausblicke in näherer Umgebung: Wilder Kaiser, Loferer und Leoganger Steinberge, Steineres Meer, Kitzbühler Alpen. Berge erfüllen mich zutiefst.
Vor fünfzehn Jahren habe ich das Klettersteiggehen entdeckt. Mein Problem war stets die Höhenangst. Ab fünf Metern bekam ich regelrecht Panik. Ich stellte mir bildlich vor, wie mein Leben im freien Fall im Zeitraffertempo an mir vorbeizieht und ich unten aufschlage. Die Höhenangst habe ich mir abtrainiert. Am intensivsten erlebte ich die Klettersteigbegehungen in Vollmondnächten. Mich gemeinsam mit dem Mond durch die tagsüber aufgeheizten Felsen zu hangeln. Das ist sowas von überwältigend.
Vor zwei Jahren fand meine Bergsteigerkarriere ein jähes Ende. Muskelbündelriss. Ein kleiner Ausrutscher auf einem einfachen, ausgetretenen Wanderweg am Dachstein. Mittlerweile sind die Krücken und die Schmerzen weg. Aber mit Berggehen ist momentan auch nichts.
Auf der Suche nach neuen Abenteuerideen bin ich auf das Bachwandern gestoßen. Umzingelt von hohen Bergen, strömen die Wildbäche zuhauf von allen Seiten ins Tal. Und das direkt vor meiner Haustür.
Ich marschiere Richtung Wildentalschlucht. Statt auf dem parallel verlaufenden Wanderweg zu bleiben, zieh ich meine Wasserschuhe an, kremple die Hosenbeine hoch und steige zum Wasser ab, um am oder auch im Wildbach weiterzugehen. Ich balanciere über querliegende Baumstämme, springe von Fels zu Fels und wate, wenn nötig, auch durchs Wasser. Nach einer Stunde stehe ich vor einem Wasserfall. Ich stell mich mitten rein, dann geht es wieder heim. Da ich von Beruf Kopfarbeiter bin, liebe ich es, meinen Körper zu spüren.
Das Schöne an so einem Abenteuer ist: Man weiß nie, wie’s werden wird! Genau das ist die Herausforderung. Den Bequemlichkeitsbereich verlassen und sich auf das Ungewisse einlassen. Selbstverantwortlich die Risiken abwägen, ohne sich blindlings in Lebensgefahr zu stürzen und lernen, mit unerwarteten Situationen umzugehen. Also, man muss ganz schön kreativ sein.
Von meiner Hängematte meines schwedenroten Gartenhäuschens aus kann ich meine Erinnerungsmitbringsel begutachten: die Flachsteinpyramiden aus der Schoberweißbachklause, die Wurzelgespenster aus der Vorderkaserklamm und meterhohe, wassergeschälte Äste aus der Saalach. Die dienen den Vögeln als Landeanflugplatz. Zwei aufgeregte Kohlmeisen haben gerade darauf Platz genommen und geben ein Konzert. Allein für mich. Wie wunderbar!
© Kurt Mikula 2023-01-22