An der Bassena wird getratscht

Heidemarie Brezina

by Heidemarie Brezina

Story
Wien, wo es alte Häuser gibt 1900 – 2024

Als in Wien die Wohnungsnot groß war, wurden schnell und preiswert von privaten Bauherren Wohnungen gebaut in sogenannten Zinshäusern. Es waren meist Arbeiterwohnungen mit Zimmer, Kabinett und einer Gangküche, die ein Fenster zum Stiegenhaus hatte. Bis zum Bau der Hochquellenwasserleitung 1873 brachten Wasserträger das meist verunreinigte Wasser aus einem der 10000 Hausbrunnen in die Häuser. Dann kam sauberes Wasser in die Stadt und damit auch die Bassena. Die Wasserleitungen wurden bis zum Stiegenhaus geleitet, aus Kostengründen aber nicht in die kleinen Wohnungen verlegt. Die “Hausherren” ließen die Häuser außen zwar mit Figuren und anderen Verzierungen dekorieren, doch an den Wohnungen sparten sie. So gab es in jedem Stockwerk eine allgemein zugängliche Wasserstelle. Man kann sich vorstellen, dass das als Fortschritt gesehen wurde. Diese Wasserstelle kennt man in Wien als Bassena. Gemeint ist ein meist weißes gusseisernes Wasserbecken mit Emailleüberzug und schwarzem lackiertem Rand. Das Becken war auch ein Ausgussbecken, sodass man das gebrauchte Wasser ausleeren konnte. Das Wasserbecken ist an der Wand befestigt, in alten Häusern noch zu finden oder als Souvenir abgebaut. Bei dieser Wasserstelle trafen sich die Bewohnerinnen zum Tratschen, jede Neuigkeit oder jedes Gerücht machte schnell die Runde. Man war hier, modern gesagt, vernetzt, ohne dass der Akku leer wurde, aufgeladen wurde der Tratsch ständig, WhatsApp Gruppen in jedem Stockwerk sozusagen. Oft waren diese Tratschereien nahe einer Ehrenbeleidigung, was zu Gerichtsprozessen führen konnte. Diese Bassena Prozesse wurden gerne besucht und es kam meist im Gerichtssaal zu Tumulten. Man hat aber auch Anteil genommen am Leben, Lieben und Leiden der MitbewohnerInnen. In Wiktionary findet man folgende Bedeutung für Bassena: “Austausch von Informationen über Dritte bei nicht geplantem, aber doch nicht zufälligen Zusammentreffen außerhalb aber in der Nähe des Wohn- oder Arbeitsplatzes.” Es wurde vermutet, behauptet, gestänkert, gestichelt und wer nicht beliebt war im Haus, konnte bei der Bassena “vernichtet” werden. Als in den Büros Jahrzehnte später die Kopiergeräte aufgestellt wurden, war das während des Wartens auf die Kopien ein Ort des Unterhaltens, des Tratschens. Man sprach wieder von Gerüchteküche und Bassenatratsch. Die Idee der Bassena als Ort des Treffens, der Begegnung und auch des Tratschens hat man im Hotel BASSENA im 21. Bezirk aufgegriffen und in der Lobby einen beidseitig verwendbaren Brunnen aufgestellt. Wer von der “guten, alten Zeit” träumt, lässt sich einen Bassenabrunnen im Garten aufstellen, oft zweckentfremdet werden Blumen darin gepflanzt. Im Film Kottan ermittelt Hartlgasse 16a spielt die Bassena für die Ermittlungen eine Rolle. Kottan muss einen Mord an einer Rentnerin aufklären. Die Bassena wird zum Gerüchtetreff. In großen Wohnhausanlagen in Wien werden für Jugendliche Bassenazentren eingerichtet, eine gute Idee, den Gedanken des Treffens wieder aufleben zu lassen. Im Pfadfindermuseum werden Bassena Tratsch Abende veranstaltet mit lustigen Sketches vor einer Bassena.https://pfadfindermuseum.org/de/topics/bassena.php. So bleibt die Idee der Bassena als Kommunikationsstelle trotz Handyvernetzung aktuell.

© Heidemarie Brezina 2024-02-21

Genres
Novels & Stories, Anthologies
Moods
Komisch, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Reflektierend
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