An meine Borderline-Lesbe

Was ich dir sagen will, eigentlich ist es eher schreiben, um wenigstens mein Ansehen in der deutschen Sprache zu wahren, ist objektiv betrachtet simpel: Liebe, Seelenverwandtschaft. Aus biologischer Sicht noch viel simpler: Fortpflanzung, männliche Triebe. Doch psychologisch gesehen bringt es mich in einige Erklärungsnöte. Denn keine der zuvor genannten Begriffe will mir vollkommen zusagen.

Meine liebe Borderline-Lesbe. Wenn du bei mir bist, ist diese düstere Welt nicht mehr ganz so trist. Ich wage sogar zu vermuten, dass ein klitzekleines Flämmchen Hoffnung in mir aufbegehrt. Auch wenn du, genauso gut wie ich, weißt, dass das abstrus ist. In unserer Welt undenkbar.

Meine liebe Borderline-Lesbe. Mein ganzes Leben sehnte ich mich nur nach Nähe. Ich bin erbärmlich. Meine menschliche Hülle verlangt nach warmen Berührungen. Auch wenn du, genauso gut wie ich, weißt, dass alles nur Fleisch ist. Verrottendes Gewebe von Sekunde zu Sekunde.

Meine liebe Borderline-Lesbe. Das Leben zeichnet meinen Arm. Und jedes Mal wundere ich mich, dass mein Lebenssaft nach wie vor eine rote Färbung besitzt. Denn du weißt, genauso gut wie ich, dass es inzwischen eigentlich die Farbe jenes guten russischen Bergquellwassers haben sollte. Sanft streichst du über jede einzelne Narbe.

Meine liebe Borderline-Lesbe. Meine Gefühle sind frostig und glühend. Wenn du bei mir bist, ist es wie eine Achterbahnfahrt. Mal erwärmst du meine Kälte, mal feuerst du meine Wärme an, mal bist du genauso dunkel wie meine Seele, doch erfahre ich dennoch tröstende Helligkeit. Auch wenn du, genauso gut wie ich, weißt, dass das unlogisch ist. In unserer schönen Welt der Normen, in der wir uns so geborgen fühlen.

Meine liebe Borderline-Lesbe. Mein ganzes Sein möchte dich für sich allein. Doch den Platz an deiner Seite nimmt eine andere ein. Dabei ist sie ein dummes menschliches Wesen. Ich möchte ES ausmerzen, mit allen Mitteln. Muss mich zusammenreißen, diesem Geschöpf nichts zu tun. Gedanklich habe ich schon alles Vorstellbare unternommen, um ES unter Qualen dahin siechen zu lassen. Doch du weißt, genauso gut wie ich, dass Gedanken nichts bewirken. Wenn ich ES nicht vernichten kann, muss ich mich vernichten.

Meine liebe Borderline-Lesbe, triff also eine Wahl. Jener beschränkte Geist, der sich wie eine Klette um dein Herz windet und sonst nichts anderes zu tun vermag, oder meine Wenigkeit. Gewiss, ich bin kein strahlender Ritter. Doch du weißt, genauso gut wie ich, dass es das in unserer Welt nicht gibt. Meine Klinge ist scharf, du kennst die Narben. Nun liegt es an dir.

Dein ungeduldiger Neurotiker