Wem das Wort Tratsch ein bisschen zu vulgär klingt, der hält vielleicht die Definition “Austausch relevanter Informationen von allgemeinem Interesse” für geeigneter. 6000 Gemeindebürger verfügen schließlich über ein sattes Potenzial von 11998 plus zwei Augen und ebenso vielen Ohren, die akribisch und effizienter als jede chinesische Überwachungstechnologie ihr Umfeld scannen. Mit Auge plus Ohr 11999 und 12000 leiste ich meinen Beitrag. Neugier hin oder her, selbst der winzigste Impuls vervielfältigt sich wie von selbst in Sekundenschnelle in der Echokammer des dörflichen Radarschirmes. Eventuelle Informationslücken werden mittels Eigeninterpretation oder logischer Schlussfolgerung geschlossen. Warum schleckt die alte schrullige Nachbarin, eine ehemalige Bankangestellte, die Katzenfutterdosen mit dem Finger aus? Wen wundert’s, dass sie sich dann hinterrucks auch noch über Mülltonnen hermacht und sie durchstöbert? Die simpelste Schlussfolgerung ist, sie für verrückt zu halten. Welchen Weg aber ein Mensch gegangen ist, bis er dort angekommen ist, wo man ihn trifft, ist von außen nicht sichtbar. Keinen Weg mehr gehen kann die unverheiratet gebliebene Nachbarin, mit der sich die Schrullige ein und dieselbe Katze teilt und nicht sichtbar, oder besser einsehbar wollen die gegenüber angesiedelten Nachbarn sein. Gespräche über den Gartenzaun? Keine Chance! Die buchstäblich Eingemauerten pflegen penibel ihren Garten, das kalkweiße Haus und ihr eigenes Weltbild bis zur Sterilität. Mauer hin oder her, ich hab Einblick vom ersten Stock aus, weiß also Bescheid, bloß, worüber? Wenig relevante Informationen hab ich leider über die neu zugezogenen Nachbarn. Ich kannte früher jeden Bewohner jeden Hauses und ihre Geschichten, viele von ihnen sind inzwischen verstorben oder haben verkauft. Kein Kinderlachen war mehr zu hören, aber heuer gab es zu Halloween einen Mordswirbel und unentwegtes Geklingel an der Tür. Bestens vertraut bin ich hingegen mit der Geschichte der zweiten ummauerten Nachbarn, die einem längst überholten Bautrend anheimgefallen sind. Wir kennen einander von zaunloser Kindheit an gut, waren Spielgefährten. Aus der Spielkameradin wurde die Lehrerin meiner Kinder. Ich gehe davon aus, dass die lieben Kleinen in der Schule mitunter auch sehr Privates über unser Familienleben samt Ausschmückung und Eigeninterpretation ausgeplaudert haben. Die Lehrer in meinem Freundeskreis liefern diesbezüglich köstlich heitere Beiträge. Ich nehme es gelassen, die Nachbarn wissen sowieso längst alles auch über mich. An neuralgischen Punkten werden wir doch alle zu Informanten über das Leben anderer und Schönfärbern unserer eigenen Geschichte. Das kann auch sein Gutes haben. Leben, um davon zu erzählen, Gabriel Garcia Marquez machte es mit seiner außergewöhnlichen Erzählkunst vor. Wie lehrreich, unterhaltsam und bereichernd. Und im Übrigen, ich erzähle doch auch nur. Ich tratsche nicht😉!
© Waltraud Lehofer 2024-11-22