Geliebtes Leservolk, von einer wahren Begebenheit vermag ich zu berichten: Es begab sich vor nicht allzu langer Zeit an einem hehren Ort nicht fern von meiner Schreibstube und handelt von einem Kälbchen, dass in einem Stall hoffnungsfroh in diese Welt geboren wurde. Ein langes Leben schien ihm fürwahr nicht beschieden, denn schon im zarten Alter von 40 Tagen kam der grimmige Viehhändler auf den Hof, um es zum Schlachthof zu führen.
Man möge nicht den moralischen Bihänder schwingen, denn ein Kalbsschnitzel benötigt nun einmal Kalbfleisch. So wie Schweinsschnitzel Schweinefleisch und Putenschnitzel Federvieh. Mit Kinderschnitzel ist es – Gott sei’s gedankt – anders. Die Schreiber von Speisekarten und die Köche, so bitt’ ich, mögen sich des Unterschieds versichern. Doch ich schweife ab.
Der Metzger band das Kalb an seinen Blechkarren, um derweil mit Dukaten das Geschäftliche zu regeln. Regeln aber waren nichts für das Jungvieh, es wollte nicht verweilen. Riss einmal kräftig am Strick und machte sich mit demselben vom Acker. Als man den Verlust bemerkte, war es längst über alle Berge.
Die Ritter vom Orden der Freiwilligen Feuerwehr erhielten sogleich die Kunde und es hob ein „Catch-me-if-you-can-Spiel“ an. Die Route wart später rekonstruiert und glich dem Ausritt eines leicht verwirrten Ritters. Dreimal durchbrach das Kalb die Suchkette, durchstreifte Wälder und Wiesen und erreichte sodann die Gestade des Irrsees.
Die Legende besagt, Kälber könnten nicht schwimmen. Dies Kalb focht das nicht an und tat es einfach. Die verdrießten Häscher requirierten sogleich einen Nachen und setzten die Jagd zu Wasser fort. An dieser Stell sei’s gesagt, wir schreiben den 8. Februar anno domini MMXXI, ein paar Zoll Schnee lag auf den höher gelegenen Feldern, das Wasser eiseskalt. Erst recht für ein sechs Wochen junges Kalb.
Schließlich ereilten die stolzen Recken das Amphibienkalb und zogen es mit kräftigen Ruderschlägen zum rettenden Ufer. Es wurde abgetrocknet und mit Decken gewärmt. Und noch an Ort und Stelle mit Seewasser auf den Namen „Arielle“, einer Meerjungfrau gleich, getauft.
Die Begebenheit, von der ich Euch erzählte, nahm ein gutes Ende. Die Bauersleut’ erbarmten sich der kleinen reiselustigen Arielle und behielten sie bei sich. Sie wuchs zu einer ansehnlichen Jung-Kuh heran und erfreut sich noch immer ihres zweiten Lebens. Die Kunde von Arielle, dem kleinen Meerkalb (dass der Irrsee Süßwasser führt, soll uns nicht anfechten!) machte die Runde. (Social) Minnesänger, Herolde und Postillen aus allen Gegenden des Reiches taten dies alsbald kund.
Und die Moral von dieser G’schicht?
Ein Kalb, das nicht einfach so ersauft,
Denn die Hoffnung ist ein helles Licht,
Auf den Namen Arielle wart es getauft!
Hiermit endet meine kleine Dramödie. Erzählt sie ruhig weiter, wenn sie Euch gefällt, auf dass sie auch Eure Kinder und Kindeskinder erfreuen möge. Und bleibt mir gewogen! Euer Klaus von der Vogelweide
© Klaus P. Achleitner 2021-07-30