Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine ist die Welt nicht nur für mich eine andere. Der Krieg in all seiner Tragik ist nach Europa zurückgekehrt, und nach dem ersten Entsetzen gehört er zu unserem Alltag. So furchtbar es ist, wenn uns Herr Wehrschütz als Korrespondent des ORF Berichte von gefallenen Soldaten, getöteten Zivilisten, all den Zerstörungen ganzer Stadtteile und von fliehenden Menschen berichtet. Man muss achten, dass man sich nicht daran gewöhnt. Ja, ich bemerke auch, dass man mit abnehmender Aufmerksamkeit die Schilderungen der Kriegsreporter, die Reden der Politiker, und auch die Debatten der Intellektuellen verfolgt.
Mit Kennermiene höre ich den Ausführungen der Experten und Strategen zu, die für mich und manchen Beobachter noch als letzte Stimmen der Vernunft in den auch sicher ideologisch hochgerüsteten Auseinandersetzungen erscheinen. Und so erfahren wir, dass es Überlegungen seitens Russlands gibt, den Einsatz von Kernwaffen in Erwägung zu ziehen, wenn dieser Staat sich in seiner Existenz bedroht fühlte. Beruhigend ist das nicht.
Diese Konstellation, weil eben so erschreckend, wird vermutlich auch jenseits dieses Ukrainekrieges fatale Konsequenzen nach sich ziehen: Staaten, die sich zu Recht oder zu Unrecht bedroht fühlen und sich wirksam verteidigen wollen, werden nach dem Besitz der Bombe trachten. Und schon wieder wird sich die Rüstungsspirale zu drehen beginnen.
Das Gleichgewicht des Schreckens, wie es uns noch Dr. Hugo Portisch sehr glaubhaft vermittelt hat, das bisher einen dritten Weltkrieg, wenn auch manchmal nur äußerst knapp, verhinderte, setzt voraus, dass bei a l l e n Akteuren ein Minimum an Rationalität vorhanden ist, die verbietet, alles Leben auf dieser Erde zu vernichten. Aber da bin ich bei einem Punkt angelangt: an die Vernunft des Menschen zu glauben und sich dieser auf Gedeih und Verderb auszuliefern, ist höchst riskant, oder anders gesagt- ziemlich fahrlässig.
Von Günther Anders, dem großen Denker, der sich wie kein anderer Intellektueller des vergangenen Jahrhunderts mit dem monströsen Charakter von Nuklearwaffen beschäftigt hat, stammt die Weisheit, dass die Existenz von Kernwaffen schon ihren Einsatz bedeutet. Niemand kann sie übersehen, wer sie besitzt, droht damit, ob er es ausspricht oder nicht. Sehr klar stellte er auch fest, wer über die Bombe verfügt, ist ihr ausgeliefert.
Günther Anders: “Die Apokalypsegefahr, in der wir leben, erreicht den Höhepunkt ihrer Bedrohlichkeit dadurch, dass wir nicht darauf eingerichtet, also unfähig sind, uns die Katastrophe auszumalen.”
© Hermann Exenberger 2023-05-08