Elfriede, Jahrgang 1919, war mit dem kleinen Sohn Günther auf der Flucht aus Pommern in ein Dorf im Thüringer Nachbarkreis gekommen. Moni kam 1954 zur Welt. Irgendwann in meiner frühesten Kindheit zogen sie in unserem Haus ein. Günthi hielt als junger Mann Hunde, eine Dogge, später einen Schäferhund. Ich erinnere mich schwach, dass ein großer Hund oben in der Wohnung unter dem Küchentisch lag. Als G. seine Gitti kennenlernte, sagte sie, entweder sie oder der Hund. Selbiger musste in den Garten umziehen, wo er von seinem Herrchen versorgt wurde. Geheiratet haben sie um die Zeit meiner Einschulung und zu Lebzeiten meines Vaters Goldene Hochzeit gefeiert.
In der DDR wurden für die Sperrmüllsammlung große Container auf freien Plätzen aufgestellt. Der gute Mann konnte nicht vorbeigehen, ohne etwas mitzunehmen. Er ist wie andere gar in Container hineingeklettert. Kohlenlieferungen wurden per Postkarte angekündigt. Legendär der Wagen, den G. baute, um die Kohlen von der Straße durch den Hausflur zum Schuppen zu bringen: Alte Kinderwagenräder, ein Holzkasten mit Metallbeschlägen. Das Gefährt rutschte gegen Wände, kippte beim Bugsieren über die Stufen um! Abends wurde eine Stecklampe genutzt, denn eh die Kohlen im Schuppen nach dem Platzschaffen nach der Schicht ordentlich aufgeschlichtet waren … Ich lag bereits in meinem zur Straße gehenden Jugendzimmer im Bett. Den letzten Kohlenhaufen vor einer Haustür habe ich 2006 in Naumburg gesehen. In manchen Märkten gibt es noch gebündelte Briketts zu kaufen.
Es gelang Günthi, einen kleinen Garten mit Blumenbeeten und Wiese im Hofbereich zu verwüsten. Überall stand Gerümpel. Als ich das 1985 meiner Kollegin im Büro erzählte, meinte sie, der sei doch wie “Barney Geröllheimer”. Um sonnabends den Wasserkessel im Waschhaus anfeuern zu können, damit die Hausbewohner warmes Badewasser hatten, musste erst umfangreich ausgeräumt werden: alte Tische, Stühle verkehrt herum daraufgestellt, überzählige Wannen … Meine Mutter hat sich mehrfach mit dem Nachbarn angelegt, in dem Falle berechtigt. Das war ein Flur und kein Müllplatz. Jede Arbeitsschutzbelehrung handelt davon, dass Fluchtwege nicht zugestellt werden dürfen. Auch Gitti passte diese Unordnung nicht in den Kram. Aufgrund diverser Beschwerden, das Geraffel endlich wegzubringen, wanderte viel davon heimlich in den Garten. Gitti ging irgendwann nicht mehr mit, weil da auch allmählich alles zugemüllt wurde. Ihre Schwiegermutter, die in der Gottweißschule als Putzfrau gearbeitet hatte, konnte die Gartenarbeit aus Altersgründen nicht mehr leisten. Gitti war in einer Trikotagenfabrik beschäftigt. Jeden Sonntag hat sie noch auf traditionelle Weise Klöße zubereitet. Wurde Gitti in Gesprächen laut, sagte mein Vater zu ihr: “Wir sind nicht miteinander verheiratet!” 1979 ist meine Mutter bei uns ausgezogen. Traf man sich Jahre später zufällig in der Stadt, war Günthi nett zu allen Leuten. Er war ja auch ein freundlicher Mitbürger, bloß nicht ganz auf der Höhe der Zeit, und brauchte seine bauernschlaue Ehegattin. Ein Werksbus fuhr ab Friedenspark die auswärtigen Beschäftigten, so auch Günthi, zur Zwickauer Trabantproduktion und nach der Schicht zurück.
© Annemarie Baumgarten 2025-03-28