Auf-MERK-samkeit

Luise Maria Sommer

by Luise Maria Sommer

Story
2011

„Luisi, kannst du bitte einkaufen gehen? Wir brauchen 
 “ Oh je, wenn ich das schon hörte. Das hieß fĂŒr mich als NeunjĂ€hrige damals: Meinen heiß geliebten Band der „Hochreiter Kinder“ (meine damaligen LieblingsbĂŒcher) zur Seite legen zu mĂŒssen und zu wissen, erst in frĂŒhestens zwei Stunden wieder in ihre Welt eintauchen zu können. Und anstrengend war es auch, von unserem HĂŒgel den Weg zur nĂ€chsten Ortschaft einzuschlagen. Sie war einen guten Kilometer entfernt – eine schier endlos lange Strecke fĂŒr kurze Kinderbeine. Neben einem Schuster und einem Hutmacher gab es dort einen BĂ€cker, eine Fleischerei, eine Molkerei und drei kleine LebensmittelgeschĂ€fte – alle gefĂŒhrt von den Inhaberfamilien selbst. Das Wort „Selbstbedienung“ existierte noch nicht.

Meine Mama gab mir meist keinen Zettel mit. Sie zĂ€hlte mir die Sachen auf, die es zu besorgen galt. Und vertraute darauf, dass ihre Tochter, die sich in der Schule mit Lernen und Merken recht leicht tat, schon alles mitbringen wĂŒrde. Doch – dem war meist nicht so. Und so kam es öfter vor, dass ich nach einem „Oh je, Luisi, du hast die ZĂŒndhölzer (Butter, Mehl, 
) vergessen!“ den Weg gleich nochmals antreten musste …

47 Jahre spĂ€ter zeige ich in einer live TV-Sendung einem interessierten Publikum, wie sie sich ganz leicht eine Einkaufsliste an ihrem Körper ablegen können. Zehn Dinge – von Katzenfutter ĂŒber GlĂŒhbirnen bis hin zu Zahnpasta – gilt es sich in kĂŒrzester Zeit zu merken, oder besser: mit entsprechenden Körperteilen bildlich-absurd, so merk-wĂŒrdig wie möglich zu verknĂŒpfen.

Ich ĂŒbernachte anschließend in Wien und laufe am nĂ€chsten Morgen der Hoteldirektorin ĂŒber den Weg. „Sie habe ich gestern Abend im Fernsehen gesehen!“, ruft sie aus. „Und – die TaschentĂŒcher, die stecken bei mir immer noch hier!“, und deutet lachend auf ihren wohlgeformten Busen.

HĂ€tte ich damals als NeunjĂ€hrige diese Techniken schon gekannt – wĂ€re der mĂŒtterliche Einkaufskorb dann immer auftragsgemĂ€ĂŸ gefĂŒllt gewesen? Ich denke nicht. Es war einfach viel wichtiger fĂŒr mich mir vorzustellen, was die Hochreiter-Kinder wohl als nĂ€chstes erleben wĂŒrden. Ich war mit meiner AufMERKsamkeit woanders. Genau so, wenn ich heute nicht mehr weiß, wo ich nun schon wieder mein Handy hingelegt habe. Und mich blöderweise auch nicht mit dem Festnetztelefon anrufen kann. Ich habe es auf lautlos gestellt, um in meiner Arbeit nicht gestört zu werden. Wenn diese Aufmerksamkeit fehlt, verliert auch eine GedĂ€chtnisweltmeisterin viel Zeit beim Suchen.

© Luise Maria Sommer 2019-08-11

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