Auf Wiedersehen?

Annika Körner

by Annika Körner

Story

“Dinge, die man ausspricht, kann man zwar bereuen, aber noch viel mehr die Dinge, die man nicht ausgesprochen hat.”
Aus “Dark Ivy” von Nikola Hotel

Xelionis schlief in einem weiteren Gästezimmer im Dunklen Turm. Ich sah es als Fortschritt, dass er nun als Gast und nicht mehr als Einbrecher galt. Wir hatten abgemacht, noch etwas zu schlafen, bevor wir zur Lichtung gingen. Tilion hatte sich zudem dazu bereit erklärt, den anderen Leuten im Turm von der Abmachung zu erzählen. Ich ging in mein Gästezimmer und konnte tatsächlich ein wenig schlafen.
Als ich wieder aufwachte, saß Tilion am Schreibtisch. Er schaute sich gerade meine Texte an. Ich stand auf und ging zu ihm.
“Tut mir leid. Ich weiß, das ist privat, aber ich konnte einfach nicht widerstehen”, sagte Tilion schuldbewusst, als er mich bemerkte.
“Ist schon okay”, meinte ich. Das war es wirklich, denn Tilion gab mir nicht das Gefühl, dass er mich für die Texte auslachen würde.
“Darf ich dir etwas sagen? Wegen des Gedichts über einen gewissen David?”, fragte er vorsichtig. Ich erinnerte mich, dass ich auch eins über ihn geschrieben hatte, und nickte.
“Lass das, was er sagt und tut, nicht so nah an dich herankommen. Sicher hast du das schon oft gehört, aber es ist so. Wie viele Menschen mögen dich nicht? Und zum Vergleich: Wie viele Menschen mögen dich? Ich bin sicher, es gibt mehr Menschen, die dich mögen, als Menschen, die dich nicht mögen. Fokussiere dich auf die, die dich mögen. Du bist ein toller Mensch, Emilia. Außerdem kann ich dir sagen, dass dein Leben bestimmt lustiger wird, wenn du auf blöde Bemerkungen gut konterst und dann die überraschten Gesichter siehst”, sagte Tilion. Ich lächelte.
Er hatte recht, und ich würde versuchen, den Tipp umzusetzen. Vielleicht braucht es zwar eine Weile, aber irgendwann würde ich es schaffen, ganz bestimmt.

Schließlich wurde es dunkel und wir mussten aufbrechen. Ich verabschiedete mich von Rarianda und Miralopa und bedankte mich für die Gastfreundschaft. Dann fuhren wir mit Xelionis’ Kutsche los. Anscheinend gab es nur eine Lichtung im ganzen Reich. Als wir dort ankamen, musste ich mich auch von Xelionis und Tilion verabschieden. Ich hatte die beiden gerne und würde sie und diese Welt vermissen. Aber hier bleiben war auch keine Option.
“Werden wir uns wiedersehen?”, fragte ich traurig, allerdings ohne Hoffnung.
“Könnte schwierig werden, aber man weiß ja nie, was die gelbe Hexerei für uns bereithält”, sagte Tilion und lächelte mich aufmunternd an. Auch Xelionis lächelte. Tilion reichte mir meine Texte, die ich im Zimmer gelassen hatte, doch ich lehnte ab.
“Du kannst sie behalten, damit du dich an mich erinnerst”, meinte ich und er nahm sie dankend an. Xelionis und Tilion bedankten sich dafür, dass ich ihnen geholfen hatte, und dann mussten wir uns endgültig verabschieden. Ich umarmte die beiden und steckte Tilion einen Zettel zu. Dann erschien ein kleiner See hinter mir. Kurz bevor ich im See untertauchte, sah ich noch, wie Tilion den Zettel öffnete.

Hoffend auf ein Wiedersehn,
sehe ich die Zeit vergehn.
Jedes Sonnenblumenfeld,
erinnert mich an diese Welt.
Ich danke dir für die Ideen,
hoffend auf ein Wiedersehn.

© Annika Körner 2023-09-03

Genres
Novels & Stories, Science Fiction & Fantasy
Moods
Abenteuerlich, Mysteriös, Reflektierend