Schon am Vortag hatte es zu regnen begonnen und wir hatten recht viel Heu draußen liegen lassen müssen. Ohne Aussicht auf Wetterbesserung gab es heute also nichts zu tun. Ich war 15 Jahre alt und verbrachte die letzten Wochen meiner Sommerferien bei einem alten Bauern im Allgäu, um ihm, wie schon im Vorjahr, in der Landwirtschaft zu helfen. Seine Kinder waren schon aus dem Haus. Wir verstanden einander gut, auch wenn wir nur wenig miteinander sprachen. Er hatte mich eingeladen und mir 50 Mark für die Bahnfahrt geschickt und ich bin gern gefahren und nun war ich hier.
Es war Sommer des Jahres 1967 und ich hatte mir zuvor in den ersten Ferienwochen bei einem Vermessungsbüro im Münsterland schwarz mein allererstes Geld verdient und mir dafür ein Transistorradio gekauft. Nun lag ich nach dem Mittagessen auf meinem Bett und hörte ein Radioprogramm – nein, nicht den Bayerischen Rundfunk, sondern einen neuen österreichischen Sender mit der flotten Bezeichnung „Ö3“ und mindestens ebenso flotter Musik – und das war jetzt, zumindest an diesem Nachmittag, endlich „mein Programm“. Ein Programm, das aus MEINEM eigenen Radio“ erklang.
Nun also waren die Zeiten vorbei, da es zu den väterlichen Privilegien gehörte, abends nach dem Abendbrot am Telefunken –Rundfunkempfänger die Sendung „Zwischen Rhein und Weser“ (mit Schumanns „Rheinischen“ als Kennmelodie) einzuschalten, ja mittlerweile hatten wir daheim seit den Olympischen Winterspielen 1964 in Innsbruck sogar ein „Radio-TV-Tonmöbel“ im Wohnzimmer stehen. Das aber musste nach Meinung meiner Mutter geschont werden und wurde daher eher selten eingeschaltet.
Zwar hatten wir im Kinderzimmer auch ein Radio, jedoch ohne UKW-Empfang und die Mittelwelle rauschte untertags. Aber abends hörten wir oft und regelmäßig „This is Radio Luxembourg’s The Station of the Stars“ und auch Radio Hilversum hatte manches für junge Ohren zu bieten.
Jetzt, im Jahr 2019, sind diese alte Möbelstücke längst schon der Geschichte anheimgefallen, während mein altes Transistorradio nach mehr als 50 Jahren immer noch brav seinen Dienst versieht. Selbstverständlich hat es mich auch im Jahr 1971 bei meinem Umzug aus Norddeutschland nach Österreich begleitet und steht jetzt an einem prominenten Platz in meinem Schlaf- und Arbeitszimmer. Sieht man von einigen Gebrauchsspuren ab hat es sich Im Gegensatz zu mir kaum verändert. Ebenso wie ich hat es sich aber in seiner Wirkungsweise verändert: Gemeinsam hat sich schon vor Jahrzehnten bei uns das bevorzugte Programm von Ö3 in Richtung Ö1 geändert und dabei wird es auch wohl für unsere weitere gemeinsame Zukunft bleiben.
© Klaus Schedler 2019-04-11