ausgesucht

Hedwig Kromer

by Hedwig Kromer

Story
Semriach 1996

Unerwartet macht mir mein Mann ein Angebot: Wie wäre es, den herrlichen Herbst für ein verlängertes Wochenende in Semriach (bei Graz) zu nutzen. Sowas lass’ ich mir natürlich nicht entgehen. Das bedeutet nämlich mit Islandpferden schöne Reitstunden zu verbringen. Japadapaduuuh!!!

Als Kinder waren meine Schwester Gertrud und ich einmal auf Sportwoche in Semriach. Schifahren, Schwimmen und Reiten standen auf dem Programm. Die hübschen handlichen Pferde, die es dort in vielen Farben gab, gefielen uns sehr. Später waren wir in den Ferien immer wieder auf diesem Reiterhof. Neben den Grundgangarten Schritt, Trab und Galopp gehen die meisten dieser Pferde noch den bequem zu sitzenden Tölt. Manche von ihnen laufen sogar Rennpass, da geht ‘s flott dahin! Wie jedes Pferd beherrschen sie auch den Retourgang und – welches Auto würde das bieten – Seitwärtsgänge! Besonders reizvoll waren für uns die Ausritte. Natürlich muss man am Anfang lernen und das geht gut in Viereck, Halle oder Ovalbahn. Roundpen oder Picadero waren noch nicht so bekannt. Doch dann: hinaus in die Natur gehen und irgendwo einkehren, das ist für mich das i-Tüpfelchen der Reiterei!

Also den Koffer gepackt, die Stiefel poliert, für unsere Katzen, Ziegen, Kaninchen, Hühner, Tauben, Wellensittiche und den Garten eine Vertretung organisiert und fort sind wir. Gegen Mittag treffen wir im Reitstall ein und werden vom Herrn des Hauses herzlich begrüßt. Wir beziehen unser gemütliches Zimmer und bereiten uns für den ersten Ausritt vor. Ich will schon zur Tür hinaus, da nimmt mein Mann mich in die Arme und schaut mir in die Augen. “Möchtest du dir ein Pferd aussuchen?”. Habe ich richtig gehört? Ist das wirklich wahr? Kann das möglich sein? Mir selbst war nie ein derartiger Gedanke gekommen. Also, wenn er mich so fragt, muss ich doch Ja sagen!

In meinem Bauch beginnt es vor Aufregung zu kribbeln! Was sich für unglaubliche Möglichkeiten auftun! Jeden Tag meine Augen an so einem hübschen Wesen weiden. Jeden Tag mit ihm gemeinsam unterwegs sein. Klar, es wird bei uns daheim leben. Klar, ich werde es selbst versorgen. Einen Gefährten wird es auch bekommen, den braucht es. Mein Mann wird seinen Teil zur Betreuung beitragen, hauptsächlich in Form von Heu machen, Stroh und Mist führen. Das sind nur ein paar Worte, hinter denen ein echtes Fitnessprogramm versteckt ist. Dafür findet es an der frischen Luft statt!

Drei Pferde stehen zur Auswahl. Das eine gefällt mir nicht, so bleiben ein Rappschecke und ein Fuchs mit hellem Langhaar und Blesse. Beide probiere ich bei Ausritten in der Gruppe aus. Mein Mann überlässt mir die Entscheidung, aber ich bin unentschlossen. Tags darauf begeben wir uns gemeinsam auf die Weide, um die beiden zu beäugen. Der Schecke grast ruhig weiter. Der Fuchs kommt auf uns zu. Aufgrund seiner Freundlichkeit wird der Fuchs, Ljúfur, ausgesucht unser neues Familienmitglied zu werden. Ein spannender und lehrreicher neuer Lebensabschnitt für uns alle beginnt! Hmmm. Habe ich nicht eben geschrieben, er ist auf uns zugekommen? Wer hat denn da wen ausgesucht?

© Hedwig Kromer 2025-04-10

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