Zwar kann ich es ertragen Blut zu sehen, aber freiwillig mache ich es nicht. Bei Spritzen schaue ich grundsätzlich weg. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich das Bundesheer dem Zivildienst vorgezogen habe.
“Arztgeher austreten!”, höre ich endlich den Chargen vom Tag rufen. In der Hoffnung, dass die Leute im Sanitätsrevier schon wissen werden was los ist und mich von meinen Qualen befreien, reihe ich mich ein. Am dritten Tag beim Bundesheer mit dem einem flammenden, stechenden Höllenschmerz in der Schulter aufzuwachen und nicht zu wissen, woher der kommt, ist der Stoff, aus dem Albträume sind.
Meine größte Angst ist es, dass mir der Bundesheerarzt nicht glaubt und mich für einen Tachinierer hält. Auch wenn ich natürlich nicht simuliere (das würde ich mich niemals trauen), habe ich diese Angst, weil ich mir der absurden Situation bewusst bin, mit dieser so plötzlich wie unerklärlich erschienenen Symptomatik. Das Wort “tachinieren” stammt vermutlich vom tschechischen “tachni” (“scher dich fort”) aus der österreichischen Armee des 1. Weltkriegs und heißt so viel wie “sich unerlaubt vom Dienst an der Front entfernen”. Demnach kann es in Österreich eigentlich gar keine Tachinierer geben. Denn, sofern wir es uns nicht mit Liechtenstein verscherzen, würde eh keine andere österreichische Front lang genug halten, um dort zu tachinieren.
“Oberkörper freimachen!”, sagt der alte Doktor ruppig im Beisein mehrerer Bundesheersanitäter und nimmt meinen Arm. Zwischen den dunklen Wolken der Ratlosigkeit in seinem Hirn, bricht ein dünner, gleißender Lichtstrahl hervor: “Geben wir ihm mal eine Infusion.” Ich drehe meinen Kopf weg und glaube den Stich bald zu spüren. Als nichts geschieht, riskiere ich einen unüberlegten Blick auf die schwieligen Hände des unfreundlichen Doktors. Ich schlucke. Poren öffnen sich und Schweißtropfen benetzen meine Stirn. Das, was der Doktor mir gleich in die Vene rammt, ist keine gewöhnliche Kanüle, das ist ein verdammter Speer und ich habe keine Zweifel, dass ich daran aufgespießt verbluten werde. In Erwartung eines furchtbaren Schmerzes halte ich die Luft an, bis mich die rauen Worte des Doktors erlösen: “Seit’s ihr wahnsinnig, doch nicht so einen Räuberspieß!” Dabei schaut er vorwurfsvoll zum Sanitäterrekrut, der ihm diese Lanze gab und fährt fort: “Damit breche ich ihm ja den Arm! Gebt’s mir eine andere Kanüle!”
Trotz kleinerer Nadel wende ich meinen Blick wieder ab. Ein Stich. Autsch. Dann höre ich, ohne hinzuschauen, folgendes: “Ah… argh… diese… verdammten…EU-Richtlinien…Scheißdinger! Das macht ihr dann sauber.” Jetzt kann ich nicht anders, ich muss hinschauen. Blutfontänen übergießen meinen Unterarm und sprenkeln den Boden rot. Irgendein Ventil scheint offen zu sein. Es schaut aus wie ein Rasensprenger. Der Sanitätsoffizier bemüht sich dem Doktor zu helfen, die rote Flut einzudämmen. Warum bin ich nochmal zum Bundesheer? Ah ja, um kein Blut und keine Spritzen zu sehen.
© Markus Schwaiger 2021-08-07