Der erste Flug in meinem Leben. Von MĂĽnchen-Riem nach Berlin-Tempelhof, mit PanAm.
Papa hat mir einen langen Brief geschrieben und genau erklärt, wie das am Flughafen abläuft. Ich wäre dorthin gefahren wie zum Bahnhof. Aber nein, ich muss am Schalter einchecken, den Koffer aufgeben, erhalte eine Bordkarte, muss durch die Kontrolle und an einem “Gate” warten, ehe ich ins Flugzeug kann. Bin sehr aufgeregt. Sitze am Fenster. Die Stewardess serviert ein Frühstück. Ich lehne alles ab. Sie schaut etwas irritiert. Bin doch erst in Ausbildung und habe nicht viel Geld. Dass dieser Service im Preis eingeschlossen ist, weiß ich in diesem Moment noch nicht.
Freunde meiner Eltern wollen mich abholen. Als Erkennungszeichen ist vereinbart: Lange, dunkle Haare, roter Lackmantel, Süddeutsche Zeitung unter dem Arm. Man wird es nicht glauben, doch direkt vor mir geht ein Mädchen mit langen, dunklen Haaren und einem roten Lackmantel. Die Freunde denken, das bin ich, sehen dann aber sofort mich mit der Zeitung unterm Arm.
Wir fahren zu ihnen nach Hause im Süden von West-Berlin. Die Oma spricht mich ständig mit “Mathilde” an, mit dem Namen meiner Mutti. Die beiden waren eng befreundet. Nun lebt Mutti schon seit einem Jahr nicht mehr. Ich fühle mich sofort zuhause und spreche Berlinerisch, so wie die Freunde hier. Das ist seltsam. Habe doch nie hier gelebt? Warum ist das so?
Wir fahren ins Zentrum, zum Ku’Damm, zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, deren Ruine samt neuer Kirche von den Berlinern “Lippenstift mit Puderdose” genannt werden. Ich liebe den manchmal sarkastischen Berliner Humor. Auch an der Mauer vor dem Brandenburger Tor stehe ich und schaue hinĂĽber.
Drei Tage hintereinander gehe ich in Friedrichstraße über die Grenze nach Ost-Berlin. Jedes Mal ein Nervenkitzel. Geburtsort Moskau! Werde ich Probleme bekommen? Die Luft in dem niedrigen Raum, in dem man warten muss, ist stickig und heiß. Es dauert eine Ewigkeit. Dann bin ich drüben. Tante Erika holt mich ab. Sie führt mich zum Pariser Platz. Blick auf das Brandenburger Tor von der anderen Seite, aus größerer Entfernung, die Absperrung beginnt schon vorne am Platz. Ich frage mich, was die Ostberliner fühlen, wenn sie in den Westen blicken und wissen, dass sie niemals dorthin fahren können?
Tante Else fährt mit mir auch nach Müggelheim und zeigt mir das Haus, in dessen Keller meine Familie ab 1945 wohnte, bis sie am 22. Oktober 1946 von den Sowjets verschleppt wurden. Kehre zu meiner eigenen Familiengeschichte zurück.
Immer wieder zieht es mich nach Berlin. Immer fühle ich mich dort wie zuhause und “berlinere” mehr oder weniger. Erst viele Jahre später erklärt mein Bruder, warum das so ist: Deine ersten fünf Lebensjahre hast Du umgeben von Berlinern verbracht.
Das erklärt alles. Daher sind mir Stadt und Dialekt so vertraut! Heimat für mich!
© Emma Breuninger 2022-01-29