Besuch bei Erna am Veilchendienstag
Veilchendienstag ist ein guter Tag Erna im Altenheim “Abendsonne” zu besuchen. Peter und ich nehmen wie moderne Rotkäppchen Kaffeekanne und Ernas Lieblingskuchen in einem Korb mit. Nach dem Klingeln dauert es eine Weile bis Erna mit dem Rollstuhl an der Tür ist. Sobald sie uns sieht, huscht ein breites Lächeln über ihr Gesicht. Ich habe Erna in einem Schlagerchor kennengelernt, den sie siebzehn Jahre leitete. Bis sie beim Nachhausekommen von einer winzigen Treppe in ihrem Hausflur auf den Hinterkopf stürzte. Ich lege eine Decke auf, nehme das Kaffeegeschirr aus dem Korb, stelle Kaffeekanne und Kuchen auf den Tisch. Wir könnten auch ins “Café Grete” ins Erdgeschoss hinunterfahren, doch das will Erna nicht. Warum, wissen wir nicht. Jedenfalls ist die Besuchte in diesem besten Altersheim von Köln schon mehrmals bestohlen worden.-Das ist normal, das ist jetzt überall in den Altenheimen so – äußert Erna. – Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so arm, wie jetzt – sagt die alte Dame traurig und muss mit den Tränen kämpfen. Wir fragen, ob sich der Arzt schon ihren geschwollenen Nacken angesehen hat.- Mein Arzt ist noch im Urlaub. Hab mir vom Pfleger ein Wärmepflaster darauf kleben lassen.- Ernas Haare überdecken inzwischen alle Narben. – Bin ja sechsmal am Kopf genäht worden -, wiederholt sie sich. Dann sprechen wir über die Regierung, und kommen auf die Kirche und den Glauben zu sprechen. – Ich bin schon lange eine Atheistin in einer erzkatholischen Stadt. – Wir staunen und das mit 88 Jahren! – Ja, alle Kriege sind Glaubenskriege gewesen, immer steckt eine Ideologie oder eine Religion dahinter. Auch bei den Urvölkern, die haben an einen Sonnengott geglaubt, dem junge Mädchen geopfert. – Auch bei den Buddhisten? .frage ich. – Ja, auch bei denen. Aber im Tibet ist es so, dass die Frau mehrere Männer haben darf, wenn ihr einer nicht mehr gefällt, stellt sie ihm den Koffer vor das Zelt. – Wir gucken ungläubig. Eine Freundin, schon zweimal in Tibet, hat uns nie Derartiges erzählt. Doch wir wollen Erna nicht widersprechen, bitten sie, auf dem Keyboard aus dem Karnevalsprogramm vorzuspielen. – Der Karneval ist doch am Veilchendienstag so gut wie vorbei, – sie holt Titel der Kaffeehaus-Musik, die sie früher mit ihrer Band gespielt hat. – Vielleicht spielst du auch im Altersheim mal zum Tanz -, ermuntere ich sie. – Ja, das passiert bald -, sagt Erna. – Griechischer Wein -, beginnt sie und ich summe mit. Wie gut, dass Erna nach dem Sturz wieder spielen kann. Das gibt ihr Kraft, lässt keine Langeweile aufkommen. Pfleger und Bewohner klopfen an ihre Tür, wünschen sich ein Lied. Nun zeigt uns Erna Fotos von ihrem Singkreis und ein Jugendfoto. -Ich hatte mittelblondes Haar mit einem roten Schimmer, bin in der Schule geärgert worden mit Rotfuchs die Ecke brennt. Da hab ich mir die Haare erst recht knallrot färben lassen. -Wir schmunzeln. -Schön, dass ihr da wart und danke! – Am meisten freut sich Erna über unsere Rose, die sie innig hegt. Ist die Blüte verwelkt, hebt sie den Stiel mit den Blättern auf. Bis wir wiederkommen, ihr eine neue Rose überreichen.
© Sybille B. Lindt 2024-03-02