Bernhardiner-Biss!

Erika Eck

by Erika Eck

Story

Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, ging ich auf große Wanderschaft, denn ich musste etwa eineinhalb Stunden vom Tal über einen Berg in das benachbarte Tal. Dort wohnten meine Verwandten und ihnen musste ich eine Einladung überbringen!

Das Wandern war herrlich, ich kannte den Weg, den ich schon oft mit den Eltern oder mit Freunden gegangen war und ich freute mich auf meine zwei Cousins, die in meinem Alter waren und mit denen ich immer viel Spaß hatte. Ich beeilte mich, damit noch genügend Zeit zum Spielen blieb.

Das letzte Stück rannte ich förmlich, als ich das Haus meiner Verwandten in der Ferne sah!

Meine Cousins erwarteten mich schon und nahmen mich freudestrahlend in ihre Mitte!

Nicht nur meine Cousins erwarteten mich, auch Barry, der alte, brummige Bernhardiner-Hund, trottete gemächlich neben uns her! Sehr betagt, fast zahnlos, hör- und sehbehindert, war der alte Wachhund schon beinahe ein Pflegefall und hatte bei meinen Verwandten das Ableben. Als Abschreckung für Gauner und Einbrecher war er bestimmt nicht mehr einsetzbar!

Nachdem ich die Einladung abgeliefert hatte, mich meiner Pflicht entledigt hatte, kam der angenehme Teil meines Besuches: Wilde Räuberspiele standen auf dem Programm. Meine Cousins und ich tollten um das Haus, schrien und rauften miteinander. Als mich aber meine Cousins, gegen die ich mich sehr heftig wehren musste, ins Haus zerren wollten, schlug ich sie, gar nicht mädchenhaft, trat sie und boxte wild um mich! Unser Gebrüll wurde immer lauter und als mich meine Cousins, an den Händen gefesselt, bereits im Haus hatten, trat der alte Barry, der sich scheinbar bedroht fühlte, in Aktion. Er meinte wohl, von meinen Cousins als Hausleuten, die er gut kannte, ging keine Bedrohung aus, aber ich war die große, wilde Unbekannte, gegen die sich der Hund wehren musste, oder er wollte meinen Verwandten helfen! Auf jedem Fall schnappte er von hinten zu und biss mich in die nackte Wade….

Vor Schreck ließen mich meine Cousins zu Boden fallen. Barry knurrte und rollte mit seinen blutunterlaufenen Augen wie ein Ungeheuer. Für mich war der altersschwache Barry zum Monster geworden. Meine Tante kam auf die Hilferufe meiner Cousins eiligst herbei gelaufen, der Hund wurde beruhigt und ich verarztet. Der zahnlose Bernhardiner hatte mich gar nicht richtig gebissen, eher gezwickt, es floss auch kein Blut, an meiner Wade waren nur minimale Abschürfungen zu sehen, die sich in den nächsten Tagen zu einem blauen Fleck entwickelten!

Das wilde Spiel hatte ein unrühmliches Ende gefunden und mein Onkel brachte mich nach Hause!

Seitdem hatte ich jahrelang Angst vor Hunden, die größer waren als ein Mops. Körperlich hatte ich keinen Schaden erlitten, aber seelisch!

Je älter ich wurde, desto einsichtiger kam mir das Verhalten des altersschwachen Barry vor. Er hatte nur die angelernten Muster seiner Bestimmung als Wachhund instinktiv hervorgekramt und seine Hausleute verteidigen und beschützen wollen!

© Erika Eck 2021-09-19

Hashtags