BESUCH AN MEINEM GRAB

Hermann Exenberger

by Hermann Exenberger

Story
Wien, Februar 2025

Wie ich schon in einigen meiner Geschichten geschrieben habe: Ich habe mir ein Grab gekauft. War eigentlich nicht so geplant, aber seit dem Tod meiner Frau bin ich immer wieder an ihrer und somit auch an meiner Grabstätte. Das heißt, ich schlendere über den Friedhof, grüße den einen oder anderen Namen auf einem Stein wie einen alten Bekannten und nehme Anteil an der Gestaltung der Gräber. Wenn es die Witterung zulässt, setze ich mich auch manchmal auf eine Bank und sehe den anderen Friedhofsbesuchern zu, wie sie Gießkannen vorbeitragen, Schaufeln oder Kerzen, wie sie gärtnern, beten oder ein Licht anzünden, ohne zu ahnen, wie lang mir selbst noch bleibt, dies zu tun. Ich genieße den Frieden an diesem Ort. An so einen Platz verarbeite ich, entscheide ich, ordne ich mich, versuche ich mich ins Reine zu bringen und finde bestenfalls heraus, was das Richtige für die Lebenszeit, die allenfalls noch vor mir liegt, sein könnte – umringt von meist fremden Toten vollkommen ungestört. An so einem Andachtsort hat für mich alles eine große Würde und Bedeutung. Wenn ich zum Beispiel jemandem begegne, beachte ich seinen Gang: ist er schwer, voll Schmerz, am Weg zu oder von einem Grab? Verweilt eine Person vor einer Grabstätte, gehe ich davon aus, er halte innere Zwiesprache mit einem geliebten Menschen. Man hat Respekt vor dem Leid des Betenden, in Andacht Versunkenen. Ich verhalte mich rücksichtsvoll, weil man sich an einem sehr ernsten Ort befindet, wo lautes Sprechen und Lachen als ebenso unpassend empfunden werden wie eben in einem Kirchenraum. Ich beobachte auch, dass jeder, der auf einen Friedhof geht, immer irgendwie in sich gekehrt ist, weil es natürlich auch eine Konfrontation mit dem Tod bedeutet.

Im Angesicht des Todes, dessen, was im irdischen Leben von uns zurückbleibt, scheint alles sehr, sehr relativ. Die Zeit spielt keine Rolle mehr, ist aufgehoben. Ob wir eine neue Regierung in Österreich haben oder nicht ist gleichgültig, ebenso wie derzeit politisch denkende Menschen es erleben, dass Zerstörer unterwegs sind, die die Republik und die Europäische Union zu beschädigen versuchen. Oder um Thomas Bernhard zu zitieren: “Angesichts des Todes ist alles lächerlich”. Zwischen den Grabsteinen jener, die es schon “hinter sich” haben, verlieren alle Probleme für mich auch ihre schwere drückende Last. Es tritt ein Zustand ein, den ich als die Leichtigkeit des Seins bezeichnen würde. Da kann ich auch gut durchatmen!

Und manchmal, wenn gerade niemand in der Nähe ist, trete ich an die Nische, die ich mir reserviert habe und auf der irgendwann mein Name stehen wird, und entbiete mir selbst einen Gruß. “Alles klar?” Und wenn ich ganz genau hinhöre, antwortet mir mein zukünftiges Ich mit einem Lächeln in der Stimme: alles klar, Hermann. Es dauert vielleicht noch eine Weile. Geh wieder nach Hause oder unternimm etwas Schönes. Mach dir noch schöne Tage und nutze sie. Ja, das werde ich. Denn eines wird mir in diesem Moment besonders deutlich: Ich liebe das Leben. Immer noch. Jeden Tag aufs Neue. Ich habe jeden Tag eine solche Freude, am Leben zu sein. Jeden Tag wie ein Morgen – und Abendgebet.

© Hermann Exenberger 2025-02-14

Genres
Spirituality
Moods
Emotional, Unbeschwert, Reflektierend