Sieht ein Kaninchen eine Schlange, erstarrt es völlig. Dieser Reflex schützt das Tier vor einem Angriff. Da das Sehvermögen von Schlangen schlecht ist, benutzen sie zum Aufspüren eines Opfers ein Wärmebild. Sie orientieren sich dabei nicht nur an der Körperwärme der jeweiligen Beute, sondern auch an deren Bewegungen. Wenn ein Hoppler starr und steif im Feld steht, kann er von einer Schlange nicht wahrgenommen werden.
Die Rolle der Verführerin im biblischen Sündenfall machte die Schlange zum Symbol des Bösen schlechthin. Nachdem es ihr gelungen war, Eva zu überreden, von der verbotenen Frucht zu essen, verfluchte Gott Adam, Eva und die Schlange. Sicher erinnern Sie sich auch an die Schlange Kaa in Kiplings „Dschungelbuch“. Kaa besitzt darin die Gabe, andere zu hypnotisieren. Im Dschungelbuch versucht Kaa immer wieder, den herzigen Mowgli in Trance zu versetzen, um ihn anschließend zu verspeisen.
Wir Menschen sitzen derzeit genau wie die Kaninchen vor der Schlange. In Angst erstarrt vor Viren, amerikanischen Präsidenten – oder auch nur vor der nächsten Steuererhöhung. Täglich gebiert die Wissenschaft neue Spezialisten: Virologen, Pneumologen, Epidemiologen und Immunologen beherrschen das mediale Parkett. Philosophen, Psychiater, Statistiker und sogar Hypnose-Therapeuten geben ihren Senf dazu.
Ich will aber nicht erstarren, ich will kein Kaninchen sein. Ich möchte auf andere Gedanken kommen. Ich will reisen, abreisen, wegreisen. Abfahren, aufbrechen. Auf Reisen gehen. Das hysterische Europa hinter mir lassen. Ein Land finden, dass die Lage zwar ernst nimmt, nicht aber das Leben verunmöglicht.
Am Roten Meer haben wir diese Gelassenheit gefunden. Bei der Ankunft am Flughafen werden wir getestet. . In den Innenräumen des Hotels werden Masken getragen, es wird desinfiziert. Zweimal täglich wird die Körpertemperatur der Gäste und Mitarbeiter gemessen. Abstände werden kontrolliert und auch eingehalten. Das Hotel ist mit sechzig Menschen – vorwiegend Europäern – nur schwach besetzt, es könnte zweihundertvierzig Gäste aufnehmen.
Natürlich gibt es in Ägypten auch Schlangen, unter anderem Sandrasselottern. Bei einer Bedrohung rasseln sie wie Klapperschlangen. Mit einer Körperlänge von bis zu 80 cm sind sie stattlich anzuschauen.Tagsüber verbergen sie sich unter Steinen, Geröll oder Büschen, nachts gehen sie auf Jagd. Sie sehen also, Schlangen sieht man kaum je.
Vergessen Sie die menschlichen Schlangen, die Ihnen täglich neue Weisheiten erzählen, selbst gebastelte Statistiken vorlegen und heute dies, morgen jenes vorschreiben. Lernen Sie, mit dem Virus zu leben, es wird uns noch lange begleiten! Aber seien Sie kein Kaninchen, erstarren Sie nicht vor Wichtigtuern, Selbstdarstellern und Schaumschlägern!
Wehren Sie sich gegen das betreute Denken! Wenn es uns auch nicht immer gelingen mag: Denken können wir immer noch selbst.
© Hanspeter Gsell 2021-09-13