Bitte lass es mich schaffen

Daniel Walczak

by Daniel Walczak

Story

Felix war eigentlich kein sehr gläubiger Mensch. Als Kind war er häufig in die Kirche gegangen, zunächst auf Wunsch seiner Eltern und später denselben zuliebe. Doch identifizieren konnte er sich mit dem christlichen Glauben nie. Ein Gott, der irgendwo im Himmel schwebte und jemandem Wünsche erfüllte, wenn man zu viel zu lauter Orgelmusik singt und dabei seine Hände faltet; das alles war für ihn fast schon lächerlich, wenn er lange genug darüber nachdachte.

Als er klein war, hatte er nie lange darüber nachgedacht, einfach, weil er es nicht konnte. Und so war er sich in seinem naiven Glauben so sicher wie in allem anderen, was er sehen und sinnlich begreifen konnte. Tief in sich verspürte er auch heute noch diesen Wunsch nach Geborgenheit, die er damals vernommen hatte. Und doch gab es zwischendurch immer noch Momente, in denen er die Hände faltete, gen Himmel blickte und ein kleines Gebet sprach. Nicht, weil er daran glaubte. Sondern einfach, weil es ja nicht schaden konnte. Heute war einer dieser Tage.

Felix war bereits viel zu spät dran und musste diesen Flug bekommen, davon hing seine berufliche Zukunft ab. Er wurde extra für ein Bewerbungsgespräch nach London eingeladen, und das zu verpassen wäre eine persönliche Katastrophe. Immerhin war er seinen alten Job los und eine solche Möglichkeit wie heute würde er so schnell nicht noch einmal bekommen. Hektisch drückte er dem Taxifahrer einen Fünfzigdollarschein in die Hand und knallte die Beifahrertür zu. Er kramte seinen Koffer aus dem Fahrzeug und machte sich auf in die große Eingangshalle. Das Gebäude war zu einem Großteil verglast und genau über ihm befand sich ein Punkt, an dem er den Himmel sehen konnte. Den großen, mächtigen, blauen Himmel, in den er nun ein Stoßgebet flüsterte: Bitte lass es mich schaffen.

Und dieses Mal fühlte es sich anders an als sonst. Er fühlte wieder ein kleines Stück von der Sicherheit und Geborgenheit, die er einst verspürt hatte. Er würde es schaffen! Doch es kam, wie es kommen musste. Angekommen beim Gepäckaufgabeband gab es zunächst Probleme mit seiner Bordkarte. Als sein Gepäck endlich weg war und er den kleinen Papierschein in der Hand hielt, wurde er für eine »routinemäßige Kontrolle« aus dem Sicherheitscheck herausgezogen. Ein Polizist stellte ihm unfassbar viele sinnlose Fragen, während alle anderen Passagiere einfach durch die Kontrolle durchgingen. Es war bereits dreimal das Boarding für seinen Flug ausgerufen worden, als er endlich an den Gates ankam. Nur, damit sich die Tür zum Flugzeug vor seinen Augen verschloss.

»Verdammt«, brüllte er ungehemmt durch den Flughafen und knallte seinen Koffer gegen die marmorne Wand. Ich brauchte dich doch nur einmal, flüsterte er hinterher. Die Euphorie, die er vorhin gespürt hatte, war vollkommen fort.

Doch es half alles nichts. Das Flugzeug hob ohne ihn ab. Und es würde ohne ihn in den Atlantik stürzen. Letztendlich hatte sein Gefühl recht behalten. Er würde es schaffen. Wenn auch als einziger.

© Daniel Walczak 2023-08-26

Genres
Novels & Stories, Spirituality
Moods
Angespannt
Hashtags