Du lieber mutiger Mensch,
heute ist ein ganz besonderer Tag, an dem ich Dir einen Brief schreibe. Heute ist der Tag des Mutes. Lies meinen Brief sorgfältig. Lies ihn mehrmals. Ich schrieb ihn mit der Feder der Liebe.
Du hast Dir damals so lange den Kopf darüber zerbrochen, ob es richtig war, Deine liebe alte Mutter allein zu lassen.
Ich war die ganze Zeit bei Dir. Ich habe Dich getragen, Dir zugeflüstert: Lass sie los. Du darfst sie jetzt loslassen. Tu’s … sei mutig.
Und Du hast den Mut gehabt, es zu tun. Ich war es, der Dir diesen Herzimpuls dazu gegeben hat, denn sonst wäre Dein Herz gebrochen und Du wärest noch immer nicht in diese wunderbare und bedingungslose Liebe eingetaucht.
Erinnerst Du Dich? Du hast Rotz und Wasser geheult.
Ich habe Dir eine Ärztin geschickt, die Dir gesagt hat: “Heulen Sie Rotz und Wasser. Aber lassen Sie los. Loslassen ist der größte Akt der Liebe.“
Es hat so sehr weh getan.
Und Du zucktest zusammen, als die Ärztin zu Dir sagte: “Sie haben nur ein einziges Problem: Sie lebt noch.”
Ein riesiger Schrecken durchfuhr Dich, denn Du dachtest, Du sollest sie in den Tod schicken. Dabei wusstest Du, dass sie irgendwann sterben würde. Aber es war nicht sie, die starb. Es war ihr Körper. Und den hat sie in einem Schlaf einfach losgelassen, um neu und ohne irdische Last bei Dir sein zu können.
Wie sehr sie das jetzt ist, das weißt Du. Sie hat es Dir oft genug auf ihre so ganz besondere Weise gezeigt. Sie hat Dir Rosen geschenkt, die wohl Dornen tragen, aber zugleich wunderschöne Blüten mit himmlischem Duft.
Ihr habt Euren Frieden gefunden. Gesegnet seist Du, meine geliebte Seele! Fühle Dich umarmt von der weitesten Liebe, die es gibt – von der bedingungslosen himmlischen Liebe!
Dieser Text entstand bei einem “Kreativen Schreibtreffen”. Das Thema hieß “Mut tut gut”. Der Schreibimpuls lautete, man solle sich vorstellen, dass man einen Brief von einem Engel bekommt, der einem sagt, wie mutig man war, als … (oder: Es scheint vielleicht nicht der Rede wert, aber …).
Das Treffen zum Thema Mut berührte die Teilnehmerinnen zutiefst und nicht alle Augen blieben trocken.
© Ulrike Nikolai 2024-07-09