Am 15.12.89 dankte Herr Weber herzlich für die guten Wünsche zu den bevorstehenden Feiertagen und erwiderte sie. “Über Ihre erfolgreiche Teilnahme an einem Wettbewerb in Rehau freue ich mich. Sicher wird ‘s nicht mehr lange dauern, dann werden die Kontakte auch auf stenografischem Gebiet zwischen Ost und West größer und schöner.” – Vor lauter Wochenendtätigkeit in Sachsen Stenografie sei er noch nicht dazugekommen, sich in der BRD umzuschauen. Er habe vor, das “zwischen den Jahren” zu tun. Ich antwortete: Normalerweise wollte ich meiner Schreibmaschine einige Tage Pause gewähren über Weihnachten. Wie Sie sehen, ich komme ohne das gute Stück, welches mir Kollege W. beschafft hat, nie im Leben mehr aus. Die meisten Stenografen schreiben ihre Briefe in Stenografie, wie ich hörte, höchstens in Diktatschrift, meistens in Notizschrift. Letzterer bin ich nicht mächtig, bei uns galt noch der “Direkte Weg”. (Lehrlinge, die einige Jahre nach uns die Ausbildung antraten, gingen wieder von der Notiz- zur Diktatschrift. Ich kann Notizschrift lesen, trotzdem ich sie nicht gelernt habe. Für meine Bedürfnisse wird da zu wenig gekürzt. Wenn ein Name buchstäblich wiedergegeben werden soll, verwende ich sie.) Ich komme vom “Lager” der Maschinenschreiber, da stelle ich mich auch nicht um … Kollege Wippich gab mir Ihre Adresse, weil ich ihn gefragt hatte, wer mir Texte in steigender Geschwindigkeit auf Band sprechen könnte. Bei mir reicht ‘s allenfalls zu unkontinuierlich gleichbleibend, ein Unding, das Diktieren lernen zu wollen, außerdem bin ich ohnehin zu schnell. Das hat wahrscheinlich mit meinem Verhältnis zu Zahlen überhaupt zu tun, … Wenn es Ihre Zeit erlaubt, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir helfen könnten. Die Kassette liegt schon bereit. Es sind noch einige nette Texte von vor der Wende drauf, die können wir uns schenken. Man konnte die alten Texte nicht mehr laut abspielen. Meine ersten beiden Wohnungen hatten keine Vorsaal. Im Prinzip konnte jeder, der außen vorüberging, hören, was drinnen geschah. Die Kopfhörerverbindung für den Kassettenrekorder, die ich mit DDR-Material anfertigen ließ, war eine Zumutung. Im Übrigen war ich ganz zufrieden mit dem Lehrgang und hätte nie für möglich gehalten, dass ich so gut abschneide. Ich kann mich schlecht selbst einschätzen. Es hat Texte gegeben, wo ich garantiert auch die ersten 3 Minuten nur mit Mühe und Not übertragen hätte. Ich habe begonnen, mir den neuen Wortschatz anzueignen. Wie Sie wissen, beginnt das bereits bei der UNO-Problematik. Ich habe mich sehr gefreut, relativ schnell Kontakt gefunden zu haben. Die meisten hatte ich noch nie gesehen. Eine gute Truppe und ein schönes Gefühl, gleich gut angenommen zu werden. Das sollte so sein unter Gleichgesinnten. … Ich hoffe, es gelingt ab Januar, gemeinsam mit Sven – wenigstens ab und zu mal – zu trainieren. Sven, Ingenieur bei der Deutschen Reichsbahn, kam nicht so leicht von der Arbeit weg. Er hatte sich die Kurzschrift überwiegend im Selbststudium angeeignet, teilweise in der Armeezeit. Sein Vater unterrichtete an der VHS, seine Mutter war Sekretärin. Anfang des Jahres hatte ich eine Lehrerin dafür gewonnen, mir vor dem Training Texte anzusagen – zu schwer. Es führte zu keiner Kontinuität. … Will man selbst vorankommen und es zieht niemand mit – mich macht das wahnsinnig. Dass ich sehr ungeduldig bin, erwähnte ich bereits.
© Annemarie Baumgarten 2024-06-13