Cyber-stalked

Jules

by Jules

Story
2022

Als ich über die Definition von Cyber-Stalking stolpere, muss ich direkt schmunzeln. In welchem Haufen Schei*e ich doch gelandet bin.

Ich weiß es schon seit einer Weile, es aber auch, wenn auch nur durch Google, bestätigt zu bekommen, ist wieder etwas anderes: Ich werde cyber-gestalked.

Ich dachte, so was könnte nur den Influencer:Innen und YouTuber:Innen unserer Zeit passieren. Doch nicht mir. Und schon gar nicht wegen meiner gefloppten Versuche, mich als Internet-Präsenz zu positionieren. Nichtsdestotrotz erhalte ich Nachrichten, die ich nicht erhalten möchte, trotz mehrmaligem, dezidiertem Hinweisen, dass ich in Ruhe gelassen werden möchte. Er will es nicht verstehen; wie kann ich ihn plötzlich so eiskalt „abservieren“? Während ich die konfusen, englischen Messages übersetze, entgeht mir natürlich nicht, wie sehr er sich bemüht, mich emotional zu erpressen. Er schickt mir Geld via PayPal, nur um mir eine Nachricht zukommen lassen zu können. Er versucht mein Mitleid zu bekommen.

Wenn ich nicht in dieser bescheuerten Situation wäre, würde ich es fast ein bisschen als Tragikomödie empfinden – er denkt doch ernsthaft, dass sein seelischer Zustand mich in irgendeiner Form interessieren würde.

Von Abservieren sind wir allerdings meilenweit entfernt. Ich kenne den Buben, der sich so verzweifelt in mein Leben einmischen möchte, nicht. Noch nie gesehen hab’ ich ihn, hie und da telefoniert haben wir während unserer Englischnachhilfestunden. Er kommt aus einem anderen Land, wofür ich so unsagbar dankbar bin, es mir allerdings nicht ermöglicht, die Polizei einzuschalten.

Und in mir brodelt die Wut. Warum ist es so selbstverständlich, dass das Nein einer Frau nicht anerkannt wird? Ich will ihm alles an den Kopf werfen, die Frustration der letzten Wochen abbauen, ihn bis aufs Letzte beschimpfen, aber nein – „Tu das nicht“, wird mir geraten, „Du weißt nicht, wozu diese Spinner imstande sind.“ Ich halte inne. Es ist nicht unwahr.

Wenn dann der Zorn verflogen ist, und ich wieder mit der Realität konfrontiert werde, spiele auch ich selbst die Täter-Opfer-Umkehr durch. Bin ich denn selbst schuld daran? Habe ich irgendetwas gesagt, das er falsch verstehen hätte können? Ich grüble, mir fällt allerdings nichts ein. Ich war einfach nur nett zu ihm. Im unschuldigsten Sinn. Meinen Partner der letzten fünf Jahre zu erwähnen, schien mir einfach nicht notwendig. Und überhaupt – wieso muss ich mich als „Eigentum“ jemand anderes deklarieren, um in Ruhe gelassen zu werden? Dieser Bub war nichts mehr als ein ausländischer Nachhilfeschüler. Kein Freund, kein Bekannter, kein Vertrauter. Aber jetzt ist er ein Cyber-Stalker, der keine Chance auslässt mich zu drangsalieren.

Doch, ich bin zu einem gewissen Grad an dieser Situation selbst schuld. Leider. Ich hätte es so früh wie möglich unterbinden sollen. Aber wer hätte ahnen können, dass aus einer Lappalie so ein Fiasko würde?

© Jules 2022-12-28

Hashtags