1963 – Düsseldorf, Schulkamerad Jürgen und Familie zogen um nach München. Es gab eine Abschiedsparty, sturmfreie Bude, die Eltern nicht zu Hause oder ließen sich zumindest nicht blicken. Also dreißig Pubertierende und Bier vom Fass im Partykeller, es gab auch Limo, egal, die blieb stehen. Für mich spannendes Abenteuer, ich war erstens vorher noch nie auf so einer Party, sogar (reine Knabenschule) mit hübschen Mädels, Jürgens Schwestern und ihre Freundinnen, und zweitens, ich hatte tatsächlich noch nie Bier getrunken.
Vorher große Diskussion mit meinen Eltern, beide Lehrer. Für Partys in sturmfreier Bude und mit Mädels (wovon sie zum Glück nichts wussten) hatten sie nichts übrig, dafür sei ich zu jung. Und ausgerechnet am 29. Juni, St. Peter und Paul, katholischer Hochfeiertag. Am Abend mit Beginn der Dunkelheit traditionell Lichterprozession, nur für Männer, anschließend Gottesdienst in der Kirche Heilig-Geist in Düsseldorf-Derendorf. Mein Vater meinte, mit 14 sei es jetzt an der Zeit für mich, da mitzugehen, dafür war ich wohl nicht zu jung.
Also Kompromiss, ich fuhr am Nachmittag mit der Straßenbahn zur Party nach Oberkassel auf der anderen Rheinseite und versprach, um neun zum Beginn der Prozession wieder zurück zu sein. Ich schämte mich schon vorher in Grund und Boden vor meinen Klassenkameraden, dass ich wegen der Eltern und für Peter und Paul die Party früher verlassen musste, welch ein Gesichtsverlust. Aber so machte ich es, ich war ein braver Sohn und guter Christ. Ich kippte zum ersten Mal in meinem Leben ganz cool zwei Bier (oder drei) runter, obwohl mir das gar nicht schmeckte, und nahm um halb neun die Bahn zurück nach Derendorf.
Ich war pünktlich da, die Lichterprozession ging los, mir war mulmig. Mein Vater merkte nichts, fromm betend und singend. Wunderte sich aber, als ich plötzlich (mit der Kerze in der Hand) am Straßenrand parkende Autos anrempelte. Ich fing mich wieder. Dass sein 14-jähriger Sohn betrunken sein könnte, kam ihm nicht in den Sinn. Sowas bei einer Kirchenprozession, undenkbar, wäre peinlich für die Familie, und das vor den mitlaufenden Freunden und Kollegen.
Angekommen in der voll besetzten Kirche, kein Sitzplatz, bei der Predigt passierte es dann. Mir wurde übel, ich schaffte es gerade noch nach draußen und kotzte an die Kirchentür (ich musste mich ja irgendwo festhalten). Mein Vater hinter mir her, merkte jetzt, was los war, natürlich angesäuert, aber wir beseitigten die Spuren und warfen die Taschentücher weg. Vielleicht kennt Ihr das, nach dem Erbrechen geht es einem kurzzeitig wieder besser. Wir also wieder rein in die Kirche, Haltung bewahren bis zum Ende des Gottedienstes, zur Kommunion ging ich nicht, die Hostie schlucken war mir zu riskant. Und danach mit Pfarrers Segen ab nach Hause.
Na ja, ich lag danach zwei Tage im Bett, war ein bisschen stolz auf mich, hatte mir und allen anderen gezeigt, was ich alles kann, Bier trinken, durchhalten und fromm sein.
© Michael Schaake 2021-01-31