by LillyMay
Meine Augen sind schwer und brennen vom langen Arbeiten am PC. Ich lege meine Brille ab und schaue nach rechts aus dem großen Fenster. Es ist ein grauer Frühlingstag und die Sonne ist gar nicht richtig herausgekommen. Obwohl es erst Nachmittag ist, sind viele Fenster schon erleuchtet. Ich beschließe, das Licht noch etwas auszulassen, stehe auf und setze mich vor das Fenster. Ich brauche eine Pause und will wenigstens einen kleinen Moment nicht an die Arbeit denken und nicht an die Sorgen.
Vom Fenster aus kann ich die vielen Garagen im Hinterhof überblicken. Da wir in der Stadt wohnen und es kaum genug Parkplätze gibt sehen wohl die meisten der Hinterhöfe in der Nähe so aus. Die Garagen gleichen sich nicht, sind unterschiedlich hoch und auch die flachen Dächer sind mit verschiedenen Materialien bedeckt. Wie ein Flickenteppich breiten sich die Dächer dicht an dicht unter mir aus. Schwarze Teerpappe grenzt an grauen Beton, grenzt an durchsichtiges, gewelltes Plastik, grenzt an ein kleines Stückchen grün. Das kleine Stückchen Grün, das von zwei Seiten durch ein Haus begrenzt wird und auf den zwei anderen Seiten von den umliegenden Garagen. Dort steht ein kleiner Baum, ein Kastanienbaum. Er kann noch nicht alt sein. Er reicht noch nicht ganz über die Garagen hinweg. Dieses kleine Stückchen scheint wie eine surreale, eigene kleine Welt zwischen künstlichen Begrenzungen, die es umgeben.
Links an der braungrauen Hauswand ziehen sich Kabel empor, fast so, als würden sie ein Wettrennen machen, aber auf dem Weg nach oben immer die falsche Abbiegung nehmen und durch ein Fenster im Haus landen. Vielleicht wollten sie dem Hinterhof entfliehen, aber haben nun mal eine Aufgabe. An der weißen dreckigen Hauswand daneben reihen sich kleine Balkone übereinander. Gerade mal genug Platz für einen kleinen Tisch und zwei Stühle, wenn die Anwohner sich raussetzen wollen. Auch im Sommer sind diese Balkone meistens leer und ich habe bis jetzt noch wenig Leute gesehen, die sie genutzt haben. Wenn ich einen Balkon hätte, würde ich im Sommer jeden Abend draußen sitzen! Das Licht hinter einer Balkontür geht an und eine junge Frau tritt hinaus. In ihrer Hand eine braune Bambuswand. Diese befestigt sie etwas umständlich und mit einigem Aufwand an der rechten Seite des kleinen Balkons. Nachdem sie fertig ist, betrachtet sie ihr Werk. Sie scheint zufrieden zu sein und geht wieder hinein. Wenigstens eine hat vor, den Balkon zu nutzen. Das Licht in der Tür erlischt wieder.
Inzwischen ist es so dunkel, dass ich meine Hand vor Augen nicht mehr sehe. Irgendwie beruhigt mich die Dunkelheit. Die anderen Menschen mit Fenster zum Hinterhof können mich so auch nicht mehr sehen. Die Dunkelheit bedeckt mich wie ein zugezogener Vorhang und bietet Sicherheit und Schutz. Immer mehr Lichter gehen in den anderen Fenstern an. Kalte blaue, warme weiße, orange und sogar ein rotes Licht erleuchten die Fenster und so auch kleine Stücke vom Hinterhof.
Ein buntes Kaleidoskop.
© LillyMay 2021-03-10