Die ägyptische Kunst soll es sein, hatten das Fischmädchen und der Mann beschlossen. Doch wie kam man da hin? Mit dem Plan in der Hand gingen sie treppauf, treppab, und kamen doch wieder an dieselbe Stelle, wo die Wegweiser Richtung Ägypten einfach aufhörten. Das Fischmädchen schüttelte den Kopf über so wenig Systematik in der Wegweiserei, schließlich hatte es in der großen Bibliothek gearbeitet und kannte sich mit systematischer Ordnung aus. “Schaut doch selbst, wie ihr klarkommt!”, schien das Museum sie auszulachen. Aber macht nichts, so schnell würde es nicht aufgeben und der Mann aus dem grünen Land auch nicht. Er war schließlich schon ganz andere Wege gelaufen, hatte selbst neue gefunden, in seinem Land. Die Beharrlichkeit der beiden wurde belohnt. Nach Mona Lisa von Weitem, etwas quälend langen Hallen voller Puttenengel und gekreuzigter Menschen, nach griechischer Kunst mit der lichtschimmernden Venus, der sinnlich schönen Göttin Aphrodite, nun schließlich Ägypten.
Das Fischmädchen staunte und staunte, sog alles in sich auf. OH ja, hier war Bastet, die Katzengöttin, schwarz, elegant und schön! Das Fischmädchen war sehr zufrieden darüber, dass die Ägypter die Katzen so verehrten. Immer wieder tauchte die Sonne auf, zwischen den Hörnern des Stiers wurde sie gehalten, hail allen, dachte das Fischmädchen, die im Sternbild Stier geboren sind! So genau war alles gearbeitet, manches in Farbe, Türkis und Rot und Gelb, vieles eingeritzt, Bild um Bild, Zeichen um Zeichen. Könnte man nur die Sprache verstehen, wünschte sich das Fischmädchen. Manches verstand es durch die Bilder und Zeichen die zu ihm sprachen, sie sprachen von Leben und Tod, von Schutz und Sein, von dem Sonnenrad, von Essen und vom Füttern mit Lebensenergie, vom Auge des Horus, vom Übergang ins Jenseits und ähnlichen Dingen. Doch nicht alles verstand es, manche Skulpturen und Bildtafeln erschlossen sich ihm nicht, bewahrten ihr Geheimnis auch vor ihm, dem Fischmädchen. Vielleicht durfte niemand sie wissen, niemand mehr? Sein Blick wanderte zum Mann vom grünen Land, auch er verstand diese Sprache nicht und bewunderte nur die Kunst, das Wissen, die Mythologie der Ägypter. Manchmal trafen sich ihre Blicke, manchmal fanden sich ihre Hände für kurze Zeit. Ein neues Erlebnis, Museum zu zweit, es war dem Fischmädchen so leicht und schön, bedeutungsvoll und doch so natürlich einfach.
Eine goldene Statue, die Göttin Isis, auch sie hielt die Sonne über ihrem Kopf, in einer Art Krone. Barfüßig war sie, ein langer glattgoldener Rock bis über den Bauch, dann barbusig und das Gesicht mit großen dunklen Augen. Um ihren Kopf trug sie einen Schmuck aus Federn wie Flügel, darüber die Sonne. Wie eine mächtige Zauberin wirkte sie, wie sie so auf ihrem Thron saß, die breiten ebenmäßigen Füße sicher auf einem Stein. So schöne Füße, das Fischmädchen bewunderte sie, sie waren niemals beengt gewesen. Ein gerader Zeh nach dem anderen und wie Töne in einer Tonleiter gleichmäßig abfallend. Das Fischmädchen konnte sich schon immer in Einzelheiten verlieren, so kam es auch, dass es, noch bevor es alles gesehen hatte, müde wurde und man beschloss nun bald hinauszugehen, ein Blick noch auf die Sphinxe, die riesigen Steinplatten und prachtvollen Sarkophage. Fasziniert und erfüllt machten sie sich auf den Weg. Es beschäftigte sie noch lange…
© EvaAnouschkaKeys 2024-08-21