by Giggu
….dachte ich mir seinerzeit als Beinahe-Volksschulkind. Es geht sicher ganz leicht, das Lesen, und so eignete ich mir schon ein paar Buchstaben an. Damit kam ich allerdings nicht allzu weit und musste mir daher eine Vorleserin oder einen Vorleser anlachen. Treuherziger Blick und “bitte, bitte”, schon waren Mama oder Papa bereit. Weil sich diese Szenen in der Nachkriegszeit abspielten, war die Auswahl an Kinderbüchern dürftig. Um genau zu sein, ich hatte vorerst nur ein einziges altes Märchenbuch von meinen älteren Cousinen übernommen. Die Schriftart im Buchdruck war so antiquiert, dass das Lesen ein mühsames Unterfangen war. Meine Eltern hatten die notwendige Geduld, mir die Geschichten zum gefühlt hundertsten Mal vorzulesen, sodass ich alle auswendig mitsprechen konnte.
Meine erste Lesung fand vor jüngeren Cousins und Cousinen statt. Ich zückte mein Märchenbuch, schlug es auf, um meinem gespannt lauschenden Publikum daraus “vorzulesen”. Es tat nichts zur Sache, dass meine jüngeren Zuhörer ohnehin wussten, dass ich noch nicht richtig lesen konnte. Das aufgeschlagene Buch hat uns einfach in eine gemütlichere Atmosphäre für die Märchenwelt versetzt.
So weit, kann man sagen, hatte ich mich nicht von zahlreichen anderen Kindern unterschieden, die ihre BĂĽcher auswendig mitsprechen konnten und ihre VorleserInnen getadelt hatten, sobald eine gewisse Schlamperei beim Vortrag einriss. Penibel mussten die Texte Wort fĂĽr Wort wiedergegeben werden.
Womit ich aber hoffte, bei meinen kleinen Zuhörern richtig punkten zu können, waren meine Fremdsprachenkenntnisse. Eine totsichere Methode zum schnellen Erlernen von Fremdsprachen hatte ich erfunden und war stolz darauf. Meine geniale Idee währte leider nicht lange. Erwachsene können auch wirklich ganz fiese Spaßverderber sein!
Nun, ich möchte euch meine geniale Ăśberlegung nicht vorenthalten: Ihr wollt – sagen wir – Englisch lernen. Ihr legt einfach das englische Alphabet vor euch hin und lernt, wie man die einzelnen Buchstaben englisch ausspricht. Gut. Ihr wollt “Baum” ĂĽbersetzen, ganz einfach englisch: Biejuem oder “Hund”, das wäre dann: Ă„tschjuendi – lieb, nicht?
Aber sie hatten alle nur gelacht! Das ist meinen Erzeugern aber bald vergangen, weil ich immer mehr Buchstaben beherrschte und sämtliche Plakate zu entziffern versuchte, was natürlich oft etwas länger dauerte, als vorgesehen. Bei Fahrten in der Straßenbahn übte ich im Vorbeifahren, die Firmenschilder zu lesen und meine Erkenntnisse laut von mir zu geben, was mir manches Schmunzeln der geneigten Fahrgäste eintrug.
Bei einem Aufenthalt der StraĂźenbahnlinie “J”, in der meine Mutter und ich saĂźen – ich durfte den Fensterplatz belegen – konnte ich sehr flott “Drogerie” richtig lesen und aussprechen. Und weil sich die StraĂźenbahn noch nicht in Bewegung setzte, konnte ich zusätzlich die Fahrgäste ĂĽber Gummiwaren, welche die Gesundheit schĂĽtzen, umfassend aufklären.
Mama errötete heftig.
© Giggu 2022-01-30