Das Hotel am Ende der Welt

Johanna Litz

by Johanna Litz

Story

Der Regen schlug gegen die Fenster wie eine wütende Hand.Mira starrte hinaus auf das graue Meer, während das neue Hotel ihrer Mutter in der Karibik unter Gewitterwolken zerfloss. “Luxusparadies” hatte es im Prospekt geheißen. Bis jetzt sah es eher aus wie der perfekte Drehort für einen Horrorfilm.Leon lehnte in der Tür, die Arme verschränkt. “Wir hätten in Boston bleiben sollen.”Finn, der Jüngste, kletterte auf das breite Bett und kicherte. “Vielleicht gibt es hier Piratengeister!Mira verdrehte die Augen. “Oder einfach nur Schimmel und kaputte Klimaanlagen.Im Erdgeschoss rumpelte etwas. Ihre Mutter Elena war seit Stunden verschwunden, auf “Geheimmission”, wie sie es genannt hatte. Wahrscheinlich versuchte sie, einen der kaputten Pools zu retten oder einem Handwerker zu erklären, dass “morgen” keine echte Deadline war.Mira warf sich auf die Matratze. Etwas Hartes drückte in ihren Rücken.Genervt griff sie unter das Kopfkissen – und zog ein Buch hervor.Kein normales Buch. Es sah alt aus, fast wie aus Leder, die Seiten vergilbt. Kein Titel, keine Schrift auf dem Einband. Nur ein Symbol: ein Drache, eingerahmt von einem Kreis aus Flammen.“Was ist das?”, fragte Finn neugierig.“Vielleicht ein Gästebuch aus dem 17. Jahrhundert”, murmelte Leon, aber selbst er trat näher.Als Mira die erste Seite aufschlug, fegte ein kalter Windstoß durch das Zimmer.Die Worte auf dem Papier begannen zu leuchten. Eine Stimme – fremd und alt – flüsterte in einer Sprache, die keiner von ihnen kannte.Finns Augen wurden groß. “Ich glaube, das Buch… atmet.”Im nächsten Moment riss ein unsichtbarer Sog sie von den Füßen.Die Welt kippte.Das Meer, das Hotel, das Gewitter verschwanden in einem Strudel aus Licht – und dann war da nur noch Dunkelheit.“Wo sind wir?”, keuchte Mira und rappelte sich auf. Ihr Blick fiel auf Leon, der sich ebenfalls mühsam erhob“Wo ist Finn?”, rief sie und drehte sich hektisch um – gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Finn auf dem Rücken eines Drachen landete vor ihnen.Der Drache beugte den Kopf zu ihnen herunter. Seine Augen – groß, klar, goldgrün – ruhten einen Moment lang auf Finn, dann auf Mira und Leon.Ein seltsames Leuchten flackerte in seinem Blick. Nicht bedrohlich. Neugierig.Dann begann der Körper des Drachen zu flimmern, als würde er sich auflösen. Schuppen wurden zu Licht, Flügel zu Luft.Und vor ihnen, an der Stelle, wo eben noch ein mächtiges Wesen gestanden hatte, stand jetzt ein Junge.Vielleicht vierzehn, barfuß, mit wirrem schwarzen Haar und einem breiten Grinsen.“Ich heiße Kallan,” sagte er, als sei das alles ganz normal. “Und ihr seid spät.”Finn trat einen Schritt vor. “Du warst… das warst du? Der Drache?”Kallan nickte.




© Johanna Litz 2025-04-29

Genres
Novels & Stories