Das kleine T’schuldigung

Luna Winkler

by Luna Winkler

Story

„Tut mir leid.“

„Nein, nein, nochmal, Kleines, komm schon. Du darfst dich nicht entschuldigen!“

„Okay…t’schuldige? Ahh nein, äh, sorry, ähm…Vernunft, ich kann’s einfach nicht.”

“Ist okay, Kleines, ist okay. Wir machen einfach morgen weiter. Komm gut heim.”

Und da geht das kleine T’schuldigung dahin, hinaus aus dem Behandlungszimmer, bis es vor dem geteerten Band steht, auf dessen RĂĽcken Autos gen Sonnenuntergang donnern.

Das Leben wäre so viel leichter ohne mich, denkt sich das kleine T’schuldigung, senkt sein Köpflein und trottet zu der nächsten Tramstation, steigt ein. Den Blick immer noch zum Boden gerichtet, durchquert es den schmalen Gang hin zu seinem Lieblingssitz, als ihm Blicke zugeworfen werden, Augenpaare sich auf es richten, es selbst seine Schultern hochzieht und seinen Namen murmelt, nuschelt, säuselt und flĂĽstert, immer schneller, proportional zu seinen hektischen Schritten, es erst aufhört, als es sitzt, sich die ĂĽbergroĂźen Kopfhörer ĂĽberzieht und sein Gesicht der kĂĽhlen Fensterscheibe zuwendet, Regentropfen beginnen, ihre Bahnen zu laufen und die Tränen ĂĽber die Wangen des kleinen T’schuldigungs.

“Eh, t’schuldigung? Kann ich mich neben dich setzen?” Das kleine T’schuldigung schreckt hoch, als es seinen Namen hört, sackt aber sofort wieder in sich zusammen, nickt und schmiegt sich sofort wieder an die Schulter des kalten Fensterglases, weil es merkt, wie verletzlich es ist, wie unfassbar empfindlich und das schmerzt das kleine T’schulidgung umso mehr, denn gegenĂĽber all den anderen kleinen Satzanhängseln war es das kleinste und obwohl nicht unbedeutenste, trotzdem das, was am meisten gehänselt wurde fĂĽr seine Bedeutung.

“Hey. Kleiner. Alles gut?” Das kleine T’schuldigung ignoriert seinen Sitzgenossen, versucht seinen schief gelegten Kopf auszublenden, der sich immer mehr parallel zum Boden verschiebt, um den Ausdruck auf dem Antlitz des kleinen T’schuldigungs zu erhaschen.

“Lass mich gehen. Bitte.”, sagt dieses mit ungewöhnlich fester Stimme und zwar so laut, dass die umstehenden Fahrgäste die Köpfe verdrehen und die beiden beäugen.

“T’schuldigung.”

Da schlägt ihm ein Lächeln entgegen. “Warum entschuldigst du dich denn? Ist doch alles gut, huh?”

“Ach ja? Ich glaub nicht. Ich hab chronische Entschuldigeritis oder so. Kennst du das? Wenn man sich für jede Kleinigkeit entschuldigt, obwohl man rein gar nichts für diesen Umstand kann oder nicht im geringsten etwas getan hat, man aber trotzdem das Bedürfnis hat, sich dafür verantwortlich zu machen?”

Der Typ neben ihm mit den bunt gefärbten Haarsträhnen und der abgetragen Lederjacke mit Krawatte schĂĽttelt den Kopf und lacht. “Nein, das kenn’ ich so gar nicht.” Ein Hauch von Minz-Kaugummi strömt da in die Nase des kleinen T’schuldigungs.

“Naja, ich muss dann mal. Wird schon, Kleiner. Lächel’ mal mehr.”

Und als er aufsteht, kann das T’schuldigung den Schriftzug lesen, der auf den ledernen Schulterblättern des Typen steht:

DANKE.

© Luna Winkler 2023-02-27

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